„Dies zu wissen, ist nicht nötig“ – Anselm von Canterbury, Meister Eckehart und die Via negationis (Teil 1)

Einführung

Anselm von Canterbury (1033–1109) und Meister Eckehart (1260–1328) verbindet, über ihre Zeit hinweg, in philosophisch-theologischer Hinsicht ein gemeinschaftliches Ziel: beide schlagen den Weg der Verneinung ein, um „das unzugängliche Licht, in dem er wohnt“[1], zu erreichen. Ihr systematisches Programm beabsichtigt, mittels ontologischer Negationslogik Gotteserkenntnis zu erlangen. Die vorliegenden Reflexionen machen sich – in guter Gesellschaft – mit auf den Weg, um zwei herausragende Gipfelpunkte geistesgeschichtlicher Negationslogik in Gestalt negativer Theologie vorzustellen und darzulegen, wie beide Denker denselben Weg einschlagen, sich aber gerade in der je eigenen (individuellen) Ausprägung gewichtig voneinander zu unterscheiden verstehen.

Zum Begriff und Programm „negativer Theologie“

Zunächst ist zu fragen, was „Negative Theologie“ bzw. „Apophatische Theologie“ meint. Der Begriff negativer Theologie beschreibt gemeinhin theologische Aussagen, die Gott das ‚absprechen‘, was er nicht ist, und gerade darin auf die Transzendenz Gottes (sog. Deus absconditus) verweisen[2]. Negative Theologie ist insofern die „theoretische Gestalt des Bewußtseins ‚von der Schwierigkeit, ja zu sagen‘ […], das aus der Unmittelbarkeit der religiösen Erfahrung überhaupt erst die Anstrengung des theologischen Begriffs entstehen läßt“[3]. Die lateinische Wendung „Via negationis“ ist maßgeblich durch den Scholastiker Thomas von Aquin geprägt worden, der in seiner Summa theologica auf die Frage „Läßt sich das Dasein Gottes beweisen?“ antwortet: „Das Mittel, auf das sich der echte Beweis stützt, ist der Wesensbegriff eines Dinges. Von Gott können wir aber keinen Wesensbegriff haben [d. i. wir können nicht wissen, was er ist], sondern können höchstens wissen, was er nicht ist (Johannes von Damaskus). Also können wir das Wesen Gottes nicht beweisen“[4]. In STh I, 13, 12 heißt es weiter: „Es lassen sich keine bejahenden Aussagen über Gott machen, denn Dionysius sagt, daß ‚die verneinenden Aussagen über Gott wahr sind, die bejahenden dagegen haltlos‘“. Allerdings, so kann konstatiert werden, bleibt die negative Theologie nicht bei einer einfachen Verneinung bejahender Aussagen über das Wesen Gottes stehen, sondern verwirklicht sich im Vollsinn erst mit der Negation der Negation[5]. Die Vorstellung der negativen Theologie als Grundform eines sich selbst überschreitenden Denkens, dass sich im Vollzug selbst noch einmal durchstreicht, findet sich bereits bei Gregor von Nyssa (335/340-394)[6]. Mit Thomas kann diese “Triplex Via“ (dreifacher Weg) theologischen Erkennens folgendermaßen dargestellt werden: 

Via affirmationis: bejahende Aussage : Gott ist gerecht. (gerecht)

Via negationis: verneinende Aussage: Gott ist nicht gerecht, wenn man die Fehlerhaftigkeit menschlicher Gerechtigkeit bedenkt. (nicht-gerecht) 

Via eminentiae: überbietende Aussage: Gott ist in vollkommener, unerschöpflicher Weise gerecht. (über-gerecht) 

Über die „unio mystica“ der spekulativen „Durchdringungsmystik“

Die zwei genannten Gestalten negativer Theologie, die hier dargestellt werden sollen, führen in ihren Entwürfen, wie zu zeigen sein wird, Mystik und Logik zusammen, um eine Synthese zu bilden. Die These, die meinen Reflexionen zugrunde liegt, lautet daher, dass Anselm von Canterbury in gewisser Weise als mystischer Logiker und Meister Eckehart – analog dazu – als logischer Mystiker bezeichnet werden kann. Mystik meint zunächst „das Streben nach Vereinigung des subjektiven Ich der Seele mit dem objektiven Du des Absoluten“[7]. Mit anderen Worten: Mystik, ein Versuch der Einigung von Mensch und Gott. Wenngleich es drei Grundgestalten mystischer Theologie gibt, nämlich Willensmystik, Gefühlsmystik und Spekulativmystik, so beschäftigen sich meine Reflexionen ausschließlich mit der Spekulativmystik. Diese geht von der Prämisse aus, Gott denkend ‚erfassen‘ und ‚erleben‘ zu können. Unter ‚Spekulation‘ versteht man die Befähigung, einen Begriff von seinen sinnlichen Merkmalen loszulösen und zu seinem reinsten Wesen vorzudringen[8]. Tragend für dieses Unterfangen ist die mystische Einheitserfahrung (unio mystica) als Erfahrung des Einenden. Über das Sprechen (dicere) kommt der Mensch stets nur dahin, das Einende im Sprechen des Einenden zu destruieren, da sich die „Sprache im Bereich des Absoluten als inadäquates Ausdrucksmittel erweist“[9]. Wird vom Mystiker das Erkennen in dem Maße über jeden Begriff hinaus gesteigert, d. i. im Vollzug der unio mystica einer spekulativen Durchdringungsmystik, gelangt er letztlich zum Absoluten, Allgemeinen und Bestimmungslosen, das mit Gott identisch ist[10]. Es wird – kurz angemerkt – aufzuzeigen sein, wie gerade im Sprechen des Menschen das Sprechen Gottes mitvollzogen wird. So gelingt es dem Logiker und Mystiker, eine andere Erfahrungsdimension zu öffnen, die durch den Terminus Deus (Gott) ausdrückt wird. Ohne diese Einheitserfahrung wäre „Gott“ nur ein Wort ohne Bedeutung und der Gottesbegriff verlöre sein fundamentum in re. Die mystische Einheitserfahrung ist in diesem Verständnis die Erfahrung einer sich logifizierenden und zugleich entlogifizierenden Erfahrung. Mit Anselm von Canterbury und Meister Eckehart können wir diese angestrebte unio mystica der spekulativen Durchdringungsmystik als Vollzugsidentität des Logikers und Mystikers kennzeichnen, sodass im Vollzug der Erkennende das Erkannte und das Erkannte der Erkennende ist.

Literatur:

Primärliteratur

Anselm von Canterbury, Proslogion. Lateinisch-deutsche Ausgabe. Herausgegeben von Franciscus Salesius Schmitt. Stuttgart/Bad Cannstatt: Friedrich Frommann Verlag 1962 [=Proslogion]. Thomas von Aquin, Summa theologica. Erster Band: Gottes Dasein und Wesen (Die deutsche Thomas-Ausgabe). Deutsch-Lateinische Ausgabe. Herausgegeben von Heinrich Christmann. Salzburg: Verlag Anton Pustet 1933 [= STh I]. 

Sekundärliteratur

Josef Hochstaffl, Negative Theologie. Ein Versuch zur Vermittlung des patristischen Begriffs. München: Kösel-Verlag 1976 [= Hochstaffl, Negative Theologie]. Lexikon für Theologie und Kirche. Siebter Band: Maximilian bis Pazzi. Herausgegeben von Walter Kasper. Freiburg/Basel/Rom/Wien: Verlag Herder 1998 [= LThK 7]. Robert König, Logik + Mystik III: Dies zu wissen, ist nicht nötig (Anselm von Canterbury + Meister Eckhart). YouTube: 2014 (https://www.youtube.com/watch?v=Qm1aHzMCCHo, Zugriff : 23.12.2017) [= König, Logik + Mystik III]. Ernst Soudek, Meister Eckhart. Stuttgart: J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung 1973 [= Soudek, Meister Eckhart]. 

[1] Proslogion, 111.   [2] Vgl. LThK, 723.   [3] Hochstaffl, Negative Theologie, 9.   [4] STh I, 2, 2.   [5] Vgl. LThK, 723.   [6] Hochstaffl, Negative Theologie, 109f.   [7] Soudek, Meister Eckhart, 1.   [8] Vgl. ebd., 2.   [9] Ebd., 3.   [10] Vgl. ebd., 2.    

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