Bild: Ich unter einem "weiten Baum" hihi siehe Quellen
EfB Die entwicklungsfreundliche Beziehung
Kurze Einführung in das Konzept
Erst einmal kurz zum Hintergrund warum ich mich aktuell mit diesem Konzept beschäftige.
Beruflich arbeite ich mich Menschen mit geistigen und zunehmend auch psychischen Beeinträchtigungen, es gibt aktuell zunehmend Neuzugänge die hospitalisiert und stark psychisch erkrankt sind. Leider wird uns als Mitarbeitern hierbei von Seite der Einrichtung kein Handwerkszeug übermittelt, wie mit diesen Menschen umgegangen werden könnte um für alle Beteiligten einen möglichst positiven Alltag zu schaffen.
Ich verbringe noch einen Monat in der Einrichtung bevor ich meine neue Stelle antreten kann, worauf ich mich, auf Grund vieler Missstände sehr freue. Ich möchte jedoch die verbleibende Zeit noch bestmöglich nutzen und vor allem gerne noch Anregungen für die verbleibenden KollegInnen finden. Ich spüre die allgemeine Überforderung deutlich und erhoffe mir zumindest konzeptionelle Ansätze zu finden, die eine grobe Richtung vorgeben könnten. Ich selbst fühle mich aktuell hilflos mit den Anforderungen, die der spezielle Bedarf dieser Menschen in Kombination mit den unzulänglichen Strukturen vor Ort (zusätzlich zum „normalen“ Alltag) an uns stellt!
Deshalb hier auch meine Bitte an Euch, solltet ihr Erfahrung in ähnlichen Bereichen haben und für euch erprobte Umgangstipps oder Konzepte kennen, lasst es mich wissen.
Ich freue mich über jegliche Anregungen zu dem Thema - gerade Außenstehende haben oft einen pragmatischeren Blick auf die Dinge ;-)
Nun zur Einführung in das ressourcenorientierte Konzept der entwicklungsfreundlichen Beziehung von Frau Dr. Barbara Senckel, nach dem (wie ich durch einen Bekannten erfahren habe) auch eine große psychiatrische Einrichtung in unsere Umgebung ihren heilpädagogischen Bereich führt. Es soll, durch Beziehung, Menschen mit geistigen Behinderungen Entwicklungschancen ermöglichen.
Generell habe ich viele Hypothesen und Ansätze von anderen bekannten Persönlichkeiten bei Frau Dr. Senckel wieder entdeckt. Zunächst gibt es einige Grundannahmen, welche, so scheint mir, überwiegend der Humanpsychologie entsprungen sind.
Deshalb sind große Eckpfeiler Wertschätzung, Akzeptanz, Empathie und Echtheit. (siehe Carl Rogers)
Eine Balance zwischen „Einlassen“ und „Loslassen“ ist erstrebenswert und dies soll in Orientierung am differenzierten Entwicklungsstand sowie der jeweiligen Lebensgeschichte geschehen.
Im Fokus steht die Beziehung, das „in Beziehung treten“ im intuitiven Dialog am „DU zum ICH“ werden (siehe Martin Buber) zwischen Autonomie und sozialer Kompetenz.
Interessant fand ich auch den Grundsatz „Autonomie in sozialer Gebundenheit“. Er zeigt hier deutlich miteinander unzertrennlich verbundene Dualitäten auf und lässt einigen Raum für philosophisches Gedankengut gerade in Bezug zum angesprochenen Klientel.
Entwicklung wird hierbei als ein Prozess gesehen, welcher durch vielschichtige Wechselwirkungen geformt wird. Als Zentrum der unterschiedlichen Entwicklungsbereiche gilt hierbei stets die Kommunikation, unterschieden wird nach folgenden
Teilgebieten der Entwicklung:
-Sozio-emotionale Entwicklung
-kognitive Entwicklung
-motorische Entwicklung
-lebenspraktische Entwicklung
-Norm- und Wertentwicklung
-Spielentwicklung
-psychosexuelle Entwicklung
Die Bereiche stehen im Einfluss der Motivation, Wahrnehmung sowie der persönlichen Gesundheit.
Hierbei wird ersichtlich, dass „die Entwicklung“ durch Mechanismen auf der einen Seite ungünstig beeinflusst werden kann (Risikofaktoren + Kritische Lebensereignisse erhöhen die Vulnerabilität) und einige (oftmals nicht durch die Person beeinflussbare) Schutzfaktoren können einen Gegenpol bilden. Vor dem Bezugsrahmen des Alters wirken nun diese Faktoren aufeinander ein, eine Reifung durch Bewältigung der gelösten Entwicklungsaufgaben wäre eines der möglichen, positiven Resultate aus diesem Prozess der Entwicklung.
Gerade bei Menschen mit einer (eventuell angeborenen) geistigen Beeinträchtigung sind die normalen Bindungsabläufe dann bereits direkt nach der Geburt häufig „gestört“.
Als Beispiel wurden viele Klienten mit denen ich arbeite, direkt nach der Geburt (häufig damals auch auf Druck vom medizinischen Fachpersonal des entbindenden Krankenhauses oder aus Scham vor dem direkten privaten Umfeldes!) in eine Einrichtung gegeben.
Einige mussten dann, ohne direkte elterliche Bindung, medizinische Behandlungen, teilweise auch Operationen, auf Grund von Organfehlern oder ähnlichen gesundheitlichen Problemen ertragen. Dies kann oftmals bereits einen traumatisierten Menschen zurücklassen. Und laut EfB liegen hier auch in der Regel die Ursprünge der, bei Menschen mit geistigen Behinderungen, welche in Einrichtungen aufgewachsen sind sehr weit verbreiteten, psychischen Störungen.
Zusammen wirken würden hierbei dann laut Konzeption:
Behinderung als Risikofaktor + Kritisches Lebensereignis(se) (häufig auch mehrere in Kombination z.B. Operationen, Schmerzen durch Erkrankungen, Verlust der Bezugspersonen und wechselnde Wohnorte) diese würden die Vulnerabilität der Person demnach vermutlich erhöhen. Auch da die möglichen Schutzfaktoren (z.B. positive Lebensbedingungen, tragfähige Beziehungen sowie eine gute Konstitution) unter diesen Umständen keinen ausreichenden positiv ausgleichenden Gegenpol bilden können.
Spiegeln
Da es den Rahmen sonst sprengen würde, kommen wir nun zu der zentralen, von Frau Dr. Senckel in diesem Konzept vorgeschlagenen, Methode:
Senckel bezeichnet das Spiegeln als Bestandteil humanistischer sowie psychoanalytisch orientierter Psychotherapie.
Spiegeln ist laut Senckel der Ursprung jeglicher kommunikativer Prozesse ist. Zurück geführt wird es auf die ersten zwischenmenschlichen Kontakte zwischen Eltern und ihrem Neugeborenen.
Eine wörtliche Kommunikation ist in diesem Zeitraum wenig sinnvoll und es ist daher intuitiv eine Form der Kommunikation entstanden, bei der, das Kind den Dialog eröffnet und diesen durch Mimik und Gestik gestaltet. Dieser auch als „kommunikatives Spiel“ bezeichnete Prozess wird dann von den Eltern als Angebot angenommen und liebevoll werden die, vom Kind ausgesendeten Signale, durch die Eltern imitiert, sodass ein intuitiver Dialog im symbiotischen Miteinander entsteht. Hierbei wird Autonomie in Verbindung mit sozialer Kompetenz erprobt und das Kind erhält die Kommunikation spielerisch aufrecht, bis es z.B. durch nachlassende Aufmerksamkeit den Dialog beendet und sich anderen Dingen zuwendet.
Bekannt ist dieses grundlegende menschliche Phänomen, soweit ich mich an einen Exkurs im Bereich der Sozialwissenschaften erinnere, in der Psychologie auch durch die hierfür zuständigen Spiegelneuronen.
Der Ansatz zum Spiegeln als Methodik im heilpädagogischen Bereich sieht nun vor, Verhalten von Personen zu spiegeln um in Kontakt mit der jeweiligen Person zutreten. Wichtige Grundvoraussetzung ist es hierbei, dem Gegenüber eine annehmende Grundhaltung sowie glaubwürdige Wertschätzung entgegen zubringen.
Hierbei werden Äußerungen des Gegenübers durch Wiederholen der gezeigten Haltung, Mimik, Gestik sowie Lauten oder Worten geäußert.
Möglich ist jedoch auch das wörtliche Beschreiben dessen, was die Person tut im Sinne von „Du bist sehr wütend, deshalb wirfst du die Vase vom Tisch!“ Wobei in der Literatur die emotionale und somit häufiger nonverbale Art und Weise des „Wie“ wichtiger ist als der konkrete wörtliche Inhalt.
Absolut vermieden werden sollten Interaktionen, welche auf einer ablehnenden Haltung fußen, diese können die Person tief verletzen und würden als „Nachäffen“ eher negative Auswirkungen auf die Beziehung haben.
Einige. Beispiele für die Anwendung sind z.B. das „Mitmachen“ „mit-Malen“, „mit-Spielen“ oder beim Bauklötze bauen „mit-Bauen“ um über diese Ebene den Menschen zu erreichen.
Sich in ein bestehendes Spiel eines schwer geistig gehinderten Menschen aktiv „einzumischen“ habe ich bereits einige Male in meiner Praxis angewandt - meine Erfahrungen waren hierbei (bei bereits positiver Bindung) stets sehr positiv, sehr verschlossene Menschen kam häufig aus sich heraus und oft konnte ich „spielerisch“ die ein oder andere wichtige Frage z.B. durch ein Kuscheltier stellen und sie wurde endlich gewinnbringend beantwortet.
Frau Dr. Senckel eröffnet dem Spiegeln hier auch die Möglichkeit Kritik in gespielter Form zu üben, beispielsweise negatives Verhalten, welches die Person anderen gegenüber zeigt „erlebbar“ zumachen. Dies jedoch im Rahmen der jeweiligen kognitiven und emotionalen Möglichkeiten des jeweiligen Klienten.
Zusammenfassend kann diese Methode:
-bei passender Anwendung dem Beziehungsaufbau durch Erleben emotionaler Einheit dienen und somit das Selbstvertrauen stärken.
-überforderten Mitarbeitern aus diesem Bereich eine Handlungs- und Kommunikationsalternative bieten.
-zum Reflektieren der jeweiligen Situation durch genaues Beobachten anregen.
-zur Selbstäußerung motivieren.
Spiegeln ist hierbei niemals objektiv und zeigt sich als lebendiger Akt der „Weltdeutung“. Dies erschwert konkrete Hinweise bezüglich der möglichen Umsetzung.
So viel zum den, für mich ausschlaggebendsten, Inhalten des Konzeptes, ich habe versucht mich „möglichst“ kurz zu fassen, was mir merklich schwer fiel. Also falls Interesse an mehr Details zum Thema besteht, lasst es mich wissen :)
Lasst mich gerne wissen, falls euch Impulse zum oben beschriebenen Inhalt kommen. Ich bin etwas skeptisch gerade was die Anwendung als Methode in „problematischen“ Situationen anbelangt. Empfinde es aber bereits als Bereicherung mich einmal wieder, gedanklich aus einem anderen Blickwinkel mit meinem Arbeitsalltag beschäftigt zu haben.
Alles Liebe euch!
Quellen:
„Du bist ein weiter Baum“ Ausgabe 2006, von Dr. Barbara Senckel
sowie einige Unterlagen die ich aus Vorlesungen aufgehoben habe, als Quelle wurde hierbei von der Dozentin die Homepage der EfB; http://www.efbe-online.de/ angegeben
@de-stem #de-stem - wurde mir von einem Freund geraten, sollte der Inhalt zu viel Interpretation bzw. "subjektive" Inhalte beinhalten lasst es mich wisssen!
Super Artikel. Kann ich mir so kaum vorstellen, wie schwierig das ist.
Aber tatsächlich sehe ich da auch viele Paralellen zur Resilienz. Hattest du ja schonmal angedeutet. Da liegt der Fokus aber meist nur auf der sozialen Ebene und selten auf Behinderungen bzw. werden solche Faktoren eher steifmütterlich behandelt. (Corinna Wustmann hat glaub ich etwas Resilienz und Frühpädagogik geschrieben und auch viel Bezug zum Risiko- und Schutzfaktorenkonzept gehabt).
Das wichtigste und sicher auch schwierigste in der Pflege ist wohl die Zeit, die man benötigt um überhaupt eine Beziehung aufzubauen, aber nur sehr selten gegeben ist.
Aber das Spiegeln/Imitieren/Nachahmen ist wirklich effektiv und nicht nur in der Kommunikation, sondern auch im Verhalten/Handeln. Interessant wäre es ja herauszufinden, wie man andere dazu bekommt, dass sie dich nachahmen. Soein Rollentausch kann witzig sein und den Kindern Spaß machen.
Ansonsten könnte man als ursprünglichste Form der Kommunikation und des Beziehungsaufbaus Narrationen/Geschichtenerzählen nutzen. Also je nach dem, wie weit es die Beeinträchtigungen ermöglichen. Wenn die schon vieles selbst nicht machen können, kann man so vielleicht trotzdem eine gemeinsame Geschichte durchleben mit Höhen, Tiefen, Spannungen etc. So Helden und Vorbilder, die gute Dinge tun, finden ja Kinder immer toll.
LG
Vielen lieben Dank für dein ausführliches Kommentar :) Corinna Wustmann sagt mir garnicht, da muss ich mich mal schlau machen Danke!
Das Zeitmanagement im pflegerischen Bereich ist wirklich zermürbend, um nicht "ausbrennend" zu sagen, man kann den Menschen leider viel zu selten gerecht werden. Reflektion ist mir trotzdem nach wie vor wichtig, nur so kann man wenigstens den Blick dafür wach halten, was man da täglich abliefert.
Aktuell arbeite ich mit erwachsenen Menschen, ihr kognitives Level dürfte teilweise jedoch dem eines Kindes entsprechen, teilweise schwer zu sagen. Die Bedürfnisse der Menschen entsprechen jedenfalls häufig vermutlich denen eines Kindes mit gestörtem Bindungsverhalten. Da das jedoch nicht auf alle zu trifft ist es oft eine schwierige Gradwanderung, um eben die etwas "reiferen" Bewohner auch nicht zu unterfordern. Aber da spielt immer so viel "rein" nach einigen Jahren kennt man beim ein oder anderen (durch viel ausprobieren und beobachten) häufig ungefähr die Möglichkeiten, wobei diese geistig, sprachlich, motorisch, lebenspraktisch, emotional... sehr unterschiedlich beim jeweiligen Menschen ausfallen können - sehr komplex das Ganze..
Ich frage mich nun vor allem wie man die Eskalationen im Alltag reduzieren kann, es kommt häufig zu Konflikten und Gewalt ist hierbei leider keine Seltenheit, sowohl Fremd- als auch Autoaggressionen. Und bei aggressiven fremden Menschen fällt die Arbeit dann nochmal deutlich schwerer.
Aber für meinen neuen Job ab April, mit beeinträchtigten Kindern, werde ich mir deine Ideen auf jeden Fall merken :) Danke dafür!
P.S. hab auch gesehen ich kann den nächsten Artikel zur Resilienz lesen ;-)
Liebe Grüße
So, ich hab jetzt grad nochmal in meine Literaturverwaltung geschaut. Das von Corinna Wustmann waren nur ein Zeitungsartikel und ein Beitrag in einem Sammelwerk. Da gehts dann aber eben doch nicht konkret um Behinderungen. Also keine Ahnung, ob die dann wirklich hilfreich wären.
Oh vielen Dank fürs recherchieren, da schaue ich demnächst mal rein - vlt helfen Sie mir dann in meinem nächsten Job! LG 😊
Super Artikel - muss ich noch mal lesen, da ist ja wirklich viel Inhalt drin! Danke dir.
Grundsätzlich möchte ich noch mal anmerken, dass es in den sozialen Berufen meist darum geht, wie das Konzept geändert werden kann, was man noch verbessern kann und und und. Ist ja auch richtig, aber da sozial tätige Menschen eben sehr sozial sind, arbeiten sie meist mit hohem Einsatz, kriegen alles noch irgendwie auf die Reihe und sind dann irgendwann krank (oft ist es der Rücken) oder landen sogar im burn-out. Ich komme selbst "aus der Ecke". Wenn ich meinen Leitungskolleginnen vorschlug, gemeinsam dem Träger zu sagen, dass wir xy nicht auch noch schaffen, hieß es "Ach geht schon noch..." und "... in den anderen Einrichtungen wird das doch aber gemacht. Da müssen wir mithalten."
So wurschteln alle vor sich hin (egal ob in der Pflege, im Krankenhaus, in Heimen, in Kitas, ...) unter unterirdischen Bedingungen mit immer höheren Anforderungen und wachsendem Krankenstand.
Sorry - ich wollte eigentlich deinen Artikel loben, stattdessen gehen hier die Pferde mit mir durch... ich lass es stehen und hoffe, du verstehst, was ich sagen möchte.
Ich habe großen Respekt für jedem Menschen, der in einer sozialen Einrichtung arbeitet und ich hoffe, dass jugendlicher Einsatz belohnt wird und nicht in Resignation endet. Also, bleib am Ball und finde deinen eigenen Weg in diesem Dschungel. Alles Liebe, Kadna
Ja dankeschön! Mich wundert nicht, dass "die Pferde mit dir durch gehen" mit mir selbst sind sie in letzter Zeit nur zu oft durch gegangen. Im aktuellen Beruf bin ich leider schon kurz vor der Resignation und ziehe deshalb demnächst auf zu neuen Ufern, hoffe dort neuen Esprit zu schöpfen ;-) Liebe die Arbeit mit Menschen nach wie vor, aber das System dahinter ist wirklich für alle Beteiligten schlecht. Aus welcher "Ecke" kommst du denn? LG für deine Rückmeldung :)
Ich habe viele Jahre Kindergärten geleitet und dann aufgehört, weil es mühsam ist, von innen heraus etwas zu verändern. Wie schon geschrieben waren die Kolleginnen nicht bereit.... Und inhaltlich bzw. methodisch habe ich auch ganz andere Vorstellungen von "Erziehung"... Puuuuh, noch so ein Thema, was heute so mit Kindern gemacht wird... Langer Rede kurzer Sinn, ich bin nicht mehr berufstätig ;)
Oh das ist ja spannend, über Erziehung muss ich noch viel lernen. Werde ja bald mit Kindern arbeiten, aber auch zum ersten mal... Die Problematik in der Team-Arbeit kenne ich aber auch sehr gut, das ist wohl überall ähnlich..
Nicht berufstätig zu sein klingt generell sehr verlockend, muss ich doch zugeben! :D