Postwachstumsökonomie - Was ist das?

in #deutsch4 years ago (edited)

Als Postwachstumsökonomie wird ein eine Wirtschaftsform bezeichnet, die ohne Wachstum des Bruttoinlandsproduktes auskommt, und deren Versorgungsstruktur stabil bleiben soll, wenngleich sie auch mit einem reduzierten Konsumniveau einhergeht. Die Postwachstumsökonomie grenzt sich klar von gängigeren Nachhaltigkeitsideen wie dem „nachhaltigen“, „grünen“ oder „decarbonisierenden“ Wachstum ab. Der Mainstream rechtfertigt Wachstum oft dadurch, dass eine ökologische Entkoppelung kraft technischer Innovationen in der Zukunft möglich sei. Anhänger der Theorie des Postwachstum, die durchaus als unkonventioneller Zugang gilt, lehnen diese Idee gänzlich ab und plädieren für Ansätze wie De-Globalisierung und Regionalökonomie.

Hintergrund und Annahmen

(1) Eine immer stärkere Konsumfixierung und eine erhöhte weltweite Nachfrage, bedingt durch das Aufstreben der Mittelschichten in den neuen Industriestaaten, treffen auf ein stagnierendes Ressourcenangebot.

(2) Das Entkoppelungsproblem bleibt ungelöst. Große Bekanntheit erlangte in den letzten Jahren der Rebound-Effekt. Durch technische Effizienzsteigerungen entstehen Ersparnisse oder zusätzliches Einkommen, was wiederum für den Konsum aufgewendet wird. Als Beispiel: Ein Auto wird energieeffizienter, das Tanken also billiger. Der Besitzer wird vermehrt mit dem Auto fahren, weil es effizienter und günstiger für ihn geworden ist, obwohl er kurze Strecken normalerweise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt hätte.

(3) Neue Erkenntnisse aus der Glücksforschung zeigen, dass ab einem bestimmten Wachstums- und Konsumniveau die Menschen nicht oder nur marginal glücklicher werden, ab einem bestimmten Level das Glück also stagniert. Im Umkehrschluss kann gesagt werden, dass mehr Wachstum und mehr Konsum nur bedingt zu mehr Glück führen.

Ziele und Umsetzung

Der Weg zur Postwachstumsökonomie basiert auf Entwicklungsschritten, die sich auf einen Wandel von Lebensstilen, Versorgungsmustern und Produktionsweisen beziehen.

(1) Neue Balance zwischen Selbst und Fremdversorgung. Es gilt von einer monetär basierten Fremdversorgung schrittweise abzukommen. „Sozial stabil sind nur Versorgungsstrukturen mit geringerer Distanz zwischen Verbrauch und Produktion. Dazu zählt die Reaktivierung von Kompetenzen, manuell und kraft eigener Fertigkeiten Bedürfnisse jenseits kommerzieller Märkte zu befriedigen. Durch eine Umverteilung der Erwerbsarbeit ließen sich Selbst- und Fremdversorgung so kombinieren, dass die Geld- und Wachstumsabhängigkeit sinkt. Eigenarbeit, (urbane) Subsistenz, Community-Gärten, Tauschringe, Netzwerke der Nachbarschaftshilfe, Verschenkmärkte, Einrichtungen zur Gemeinschaftsnutzung von Geräten/Werkzeugen etc. würde zu einer graduellen De-Globalisierung verhelfen.“

(2) Regionalökonomie. Durch verkürzte Wertschöpfungsketten, regionale Märkte und Konzepten wie Community Supported Agriculture würde sich ein großer Teil des Bedarfs decken lassen. Regionalwährungen würden von globalisierten Transaktionen abkoppeln. Die Effizienzvorteile einer geldbasierten Wirtschaftsweise würden so teilweise erhalten bleiben, der Rahmen wäre allerdings umweltverträglicher und krisenresistenter.

(3) Recycle, Reuse. Bestehende, unabdingbare Konsumansprüche, die nicht durch lokale oder regionale Versorgungsstrukturen substituieren lassen, bilden eine Restgröße an industrieller Produktion. Beispiele für solche Produkte wären high tech Produkte. Durch Nutzungsdauerverlängerung und Nutzungsintesivierung würde die Aufwertung bereits vorhandener Produkte, im Zentrum stehen. Nicht mehr benötigte Produkte, sollten nicht weggeworfen werden, sondern durch Verkaufen oder Verschenken im Kreislauf bleiben.

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Quelle: pixabay

Ein Exempel: Abschied vom Wachstum

Einen philosophischen Blick auf die Thematik des Postwachstums gibt Alain de Benoist in seinem 2009 erschienenen Buch „Abschied vom Wachstum: für eine Kultur des Maßhaltens“.

„Die Wachstumsbefürworter geben sich mit dem Glauben zufrieden, dass die menschliche Intelligenz unerschöpflich sei. Sie behaupten, der technische Fortschritt werde in Zukunft Lösungen für Probleme finden, die in früheren Stadien ebendieses Fortschritts offenbar (und durch ihn) verursacht wurden.“

So spricht sich de Benoist gegen die „erste Welle“ des nachhaltigen Wachstums aus. Der Folgen der Umsetzung seines Denkens ist sich Benoist auch bewusst. Die möglichen Effekte der Einführung einer Postwachstumsökonomie sind eine fatale Schwächung des Welthandels, Arbeitslosigkeit und mögliche Verarmung. Eine Wachstumsrücknahme setzt logischerweise eine grundlegende Veränderung unserer ökonomischen und produktiven Vorstellungen voraus.

Eher philosophischer argumentiert Benoist gegen eine „Fortschrittsideologie“, die letztendlich zur jetzigen Wirtschaftsweise geführt hat, die sich vom Wachstum nährt. Benoist nennt verschiedene Typen an Kritikern der Wachstumsrücknahme. So nennt er auch einen Typus, der Besorgnis aufgrund der Situation der Entwicklungsländer äußert. So jemand mag meinen, dass es moralisch inakzeptabel wäre, um Wachstumsrücknahme zu plädieren, da diese Länder sonst nicht aus ihrem „unterentwickelten“ Zustand herauskommen würden.

Benoist spricht für seinen Kritiker:

„Die Menschheit marschiert auf einem einzigen, gemeinsamen Weg voran, der sie Schritt für Schritt zum Paradies führt - infolgedessen sind die Unterschiede zwischen den Kulturen nur ein vorübergehendes Stadium in der Universalgeschichte. Bestimmte Gesellschaften haben dabei bereits einen „Vorsprung“ gegenüber anderen, was ihnen das Recht, ja die Pflicht gibt, den „Zurückgebliebenen“ die geeigneten Mittel aufzuzwingen, um ihre Rückständigkeit aufzuholen. Und schließlich herrscht die Vorstellung, dass sich der „Fortschritt des Fortschritts“ am besten an der Steigerung des materiellen Wohlstands der größten Anzahl messen lässt - daher rührt die wesentliche Bedeutung des wirtschaftlichen Vergleichsfaktors - und dass die menschliche Natur ihrerseits um so größere „Fortschritte macht, je besser sich die Existenzbedingungen entwickeln (somit gerät die Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts gewissermaßen zum moralischen Imperativ).“

„Wenn der Mensch erst wirklich zum Menschen wird, je mehr er mit der Natur und den Traditionen bricht, die früher sein soziales Leben regierten, folgt daraus, dass traditionelle Gesellschaften, die die „Errungenschaften“ der Entwurzelung noch nicht vollzogen haben, aus unvollkommenen Menschen bestehen, genauer gesagt: aus Untermenschen. Eben deswegen nährt die Fortschrittsideologie gerade aufgrund ihres Anspruchs auf Allgemeingültigkeit einen Rassismus der heimtückischen Art. Sie proklamiert die Universalität des Menschengeschlechtes im Namen der „in allen und in jedem“ gleichermaßen vorhandenen Vernunft.“

De Benoist beleuchtet die Frage nach der „décroissance“ auf eine eher philosophische als ökonomische Art. In der Tat ist die Debatte um Fortschritt und Wachstum und ihrer Vereinbarkeit allen voran philosophischer Art. Wer anerkennt, dass unsere jetzige Wirtschaftsweise zu einem Problem werden wird, kann sodann wirtschaftliche Überlegungen treffen, wie ein Umbruch möglich gemacht werden könnte und wie mit den Kollateralschäden eines so schwerwiegenden Umbruchs umgegangen werden sollte.

Sort:  

Postwachstum ist eine kommunistische Idee, um den Massen Armut (und Überwachung) schmackhaft zu machen. Extreme Auswüchse sind dann "Insekten essen", weil Kühe soviel CO2 produzieren.

Das Problem ist nicht Wachstum per se, sondern eher das Geldsystem über das der Mehrwert des Fortschritt an eine kleine, globale Elite "verpufft".

1l Benzin könnte 20 Eurocent kosten, ein Brötchen 5 Cent, usw. Der Staat verschuldet sich für die üppigen Geschenke bei Großbanken und gibt dann den Zins an seine Bevölkerung weiter.

Wir benötigen eher ein "Post-Teilreverse-System" mit echter Deckung von staatlichem Geld, was zerstörerischem staatlichen Treiben (Großbauprojekte, Kriege, generelle Verschwendung) ein Ende setzen würde.

Aber man kann durchaus argumentieren, dass uns technischer Fortschritt nicht unbedingt zu moralisch besseren Menschen gemacht hat.

Interessanter Standpunkt! Ja, ich halte auch nichts von grüner (Verbots-) Politik, finde das Konzept an sich aber einfach interessant.

sehr interessant :)

kennst du die Philosophie des Agorismus?

@tipu curate

Danke! Grob würde ich das jetzt dem Libertarismus zuordnen?

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