You are viewing a single comment's thread from:

RE: Maibaum - Walpurgisnacht - Beltane und die örtliche Brauchtumspflege ;-)

in #deutsch7 years ago

Hallo Natalie,
bei uns lief das feucht-fröhliche Prozedere wie folgt ab.
Die Junggesellen fällten die Birke, schmückten den Stamm und die verbliebenen Äste in der Krone. Danach fixierten sie das Monstrum auf dem Marktplatz oder vor der Dorfkneipe. Dieser harte körperliche Einsatz verschlang meist bereits den ersten Kasten Bier. Außerdem suchten besorgte Mütter vorsichtshalber die Nummer des Rettungsdienstes heraus.

Anschließend wurden aus den abgeholzten Zweigen kleine Sträuße gebunden, die ebenfalls mit einem Band geschmückt wurden. Diese Sträuße landeten neben der Liste, auf der die Namen der unverheirateten Frauen des Dorfes aufgelistet waren.

Mit Anbruch der Dunkelheit waren dann auch die Instrumente gestimmt, der gut bestückte Leiterwagen gefüllt und die Junggesellen-Tour konnte beginnen. An den jeweiligen Türen der umworbenen Frauen wurde ein Stopp eingelegt und lauthals ein Ständchen intoniert, dessen Text im Vorfeld genau auf diese Person zugeschrieben wurde.

Natürlich wussten die jeweiligen Grazien ganz genau, was in der Nacht auf sie zukommt und warteten ganz gespannt hinter den Gardienen, bis unser Gegröle immer näher kam.

Hier, bei diesem Ritual, offenbarte sich mir erstmals das komplexe, beinahe unberechenbare Verhalten von Frauen. Denn kaum hatten wir zur ersten Strophe angesetzt, standen schon Oma am offenen Fenster, die Mama an der Haustür und die Angebetete mit einem Tablett gefüllter Schnapsgläser vor uns und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Zwei Jahre später war das Honigkuchenpferd mit einem meiner Kumpel verheiratet. Glaubt ihr, sie hätte dem armen Kerl auch nur noch ein Lächeln geschenkt, wenn der ankündigte, mit den alten Kumpels einen drauf zumachen? Die wundersame Verwandlung der Gerda E.

Wie am Ende unseres Weges die Instrumente, bzw. unsere Stimmen klangen, kann sich wohl jeder vorstellen. Sogar das Ablesen des Textes funktionierte meist nicht reibungslos. Wild gereimt und immer knapp unter der Gürtellinie brachten wir den Auftritt stets bravourös zu einem guten Ende. Erst dann ging es zurück zum Maibaum, der nicht von Junggesellen, sondern den frisch Vermählten vom letzten Jahr bewacht werden musste.

Fazit am nächsten Morgen: Notarzt ganz selten (meist aber nur Klammern von Wunden nach einem Absturz vom Baum, denn mit Bier und Schnaps im Kopf schafft Mann fast alles), Verbandskasten fast immer und Brummschädel mit garantierter Sicherheit.
Was soll man sagen? Schön war es!
Liebe Grüße, Wolfram

Sort:  

Oh, lieber Wolfram, das ist ja wieder ein ganz besonderes Schmankerl aus deinem Leben - sehe es alles gerade bildlich vor mir, hahaha :-) Wunderbar!!!

Ganz herzliche Grüße an dich und die deinen :-)