Mit den Motorrädern im Iran angekommen

in #deutsch6 years ago

Wir sind im Iran! Und das, obwohl unsere Motoräder über 250ccm haben und im August über das Internet verbreitet wurde, dass die Einreise solcher „big bikes“ nun verboten sei. Das war das beste Beispiel dafür, wie ein einziger Mensch international über soziale Medien große Verwirrung stiften kann. Bis heute taucht in Foren und Gruppen immer wieder die Frage danach auf. Aber: alles heiße Luft, „wir sind drin“ mit unseren „Monstermotorrädern“!

Auch über den Grenzübertritt in den Iran wusste das Internet, beziehungsweise einige Herren in sozialen Medien, Schlimmes: ohne Helfer, die einen den Weg durch den Schalterdschungel weisen und dabei dolmetschen, sei ein Grenzübertritt in den Iran nicht möglich. Und Gebühren koste es auch. Jaja.
Nun, wir brauchten weder Helfer noch Dolmetscher noch unser Portemonnaie zu zücken. Außer, weil wir keine Kopien unserer Papiere zur Hand hatten. Die mussten wir dann doch für 1$ kopieren lassen. Ansonsten lief alles sehr flüssig, strukturiert und absolut nachvollziehbar ab. Natürlich standen „Helfer“ bereit und einer versuchte auch recht penetrant, zu „helfen“, doch das größte Problem war der Lehrling, welcher zwar unsere Unterlagen bearbeitete, dies jedoch nicht im System hinterlegte, sodass wir am Ende zwar alle Stationen durchlaufen hatten, aber trotzdem nicht erfasst waren.
Nach 200km und einem Kebab kamen wir in Tabriz an. Im Iran funktionieren ja gängige Webseiten nicht und so fuhren wir ohne Reservierung nur nach Empfehlung aus der iOverlander App zu einem Guesthouse, in dessen Hof die Motorräder sicher stehen konnten.
Im Iran ist die Währung im freien Fall. Das bedeutet, dass es für uns jeden Tag hier billiger und die Situation für die Iraner immer schlimmer. Unser Abendessen schlug mit etwa 1,30€ pro Person zu Buche (inklusive Getränke), ein riesiges Glas frischer Saft kostet 60 Cent. Tendenz täglich billiger, solange man sein Geld illegal schwarz tauscht. Es gibt im Iran zwar Geldautomaten, aber an diesen kann man mit Visa oder Mastercard nichts abheben, sodass man auf Bargeld angewiesen ist. Das kann man zum ofiziellen Wechselkurs auf der Bank tauschen oder das Vierfache auf dem Schwarzmarkt bekommen. Und da ist man schnell Millionär: schon 6€ reichen hier für die erste Million!
Unser erster Tag in Tabriz führte uns zu einer zweiten illegalen Handlung: im Iran dürfen Ausländer keine Simkarten kaufen. Doch wie bekommt man eine Karte fürs Handy in einer fremden Stadt, in der man niemanden kennt? In Deutschland wäre das unmöglich, zudem, weil es ja nicht erlaubt ist. Und im Iran fragt man einfach den Opa hinterm Tresen des Mobilfunkanbieters. Und der führt einen dann zu einem jungen Mann, der weiterhilft.
Eine Stunde und zwei leckere Kaffee später hatten wir beide unsere Telefone im iranischen Netz eingebucht und Internetguthaben darauf. So einfach ist das! Dann gingen wir auf den Bazar, welcher der größte überdachte Bazar der Welt sein soll. O.k., das Warenangebot war im Vergleich zu anderen solcher Märkte wie Isfahan oder Marrakesch bis auf die Teppichabteilung eher „made in China“, aber trotzdem interessant, denn ich musste shoppen.

Im Iran müssen sich auch Ausländerinnen „mullahgefällig“ kleiden. Ich war mit meiner Mutter und Schwester 1996 (vor 22 Jahren!) schonmal im Iran und bin damals sehr wütend gewesen, im knöchellangen Mantel herum rennen zu müssen, die Haare unter einem engen Kopftuch zu verstecken und mich „zu Tode“ zu schwitzen, während mir erzählt wurde (und über den Spruch ärgere ich mich bis heute!), dass sich ja die Frauen in so einer Vermummung schließlich „frei fühlen“ könnten, denn sie seien ja „vor den Blicken der Männer geschützt“. Ich hatte mir geschworen, erst dann wieder in den Iran einzureisen, wenn sich die Situation entspannt hat.

Und nun ist es tatsächlich so weit: das Kopftuch wird vielerorts nur noch „von Allahs Hand gehalten“ und bedeckt den Nacken statt das Haar, knöchellange, sackartige Mäntel sind flotten, zum Teil recht figurbetonten Kurzmänteln oder Longshirts gewichen und das eigentlich verbotene Make-Up wird so exzessiv verwendet, dass es nicht mehr schön ist. Statt derbem Schuhwerk mit blickdichten Socken wird barfuß in offenen Schuhen gelaufen und die einst weite Hose ist Leggings gewichen.

Ein langes Holzfällerhemd mit Kopftuch als Erstausstattung war schon ein guter Start, aber ich brauchte Wechselklamotten und erstand einen blauen „Manteau“ (Kurzmantel) mit Pünktchen und ein passendes Kopftuch. Obwohl wir in einem Fachgeschäft einkauften und uns der Verkäufer noch zum Tee einlud, wurden wir für den Mantel nur 3,20€ los. Das Shopping belastet hier die Reisekasse nur wenig.
Als wir abends ein Restaurant betraten, war das Gelächter bei Kellner und Gästen groß: die Speisekarte war für uns nicht zu lesen! Kein Problem, der Koch brachte diverse Zutaten und Gerichte in kleinen Schüsseln an den Tisch und wir trafen unsere Wahl. Es war so lecker! Nachdem wir ja in Georgien schon geschlemmt hatten, bis die Bäuche platzten, wird es hier so weiter gehen…
Jan und ich schwärmen beide von einer bestimmten Eisdiele in Damaskus, in der es ein unbeschreiblich leckeres Milcheis gibt. Und wir hatten ein ähnliches Eis gesehen, was wir unbedingt probieren mussten. Es war vergleichbar: Milch mit Rosenwasser und Kardamom zu Eis verarbeitet und in Waffeln gespachtelt. Nur die frischen Pistazien, in denen das Eis in Damaskus gewälzt wurde, fehlten hier. Hmmmmmm! Ob es die Eisdiele in Damaskus wohl noch gibt? Wahrscheinlich nicht…
Angeblich muss man im Iran sein Fahrzeug versichern, weil man sonst im Falle eines Unfalls zunächst schuldig ist (unabhängig vom Unfallhergang) und mit Pech im Gefängnis landet, bis die Sache vielleicht irgendwann geklärt ist. Diese Art der Unterbringung ist natürlich äußerst kostengünstig und auch ohne Visaprobleme, aber leider sehr ortsgebunden und mit unserem Vagabundenleben nicht vereinbar. Also zogen wir mit zwei weiteren deutschen Motorradreisenden, Ulla und Bernd los, um unsere Motorräder zu versichern.
Die erste Adresse eines Versicherungsbüros endete in einer Mall, in der das Büro nicht (mehr?) war, uns aber ein Gardinenverkäufer (Spezialität: Glittergardinen und Perlenstores) eine Karte malte, auf der wir den Weg zur nächsten Adresse nachvollziehen konnten. Dort fanden wir aber nichts außer Sportstätten und Ulla sprach eine Frau auf der Straße an.
Diese Frau entpuppte sich als Engel des Tages. Später erklärte sie uns das als „im Iran völlig normal“ und war völlig erstaunt „in Deutschland nicht?“. Zunächst führte sie uns zur aufgemalten Adresse. Es handelte sich dabei um das Büro der iranischen FIA. Leider verstand man dort offenbar das, was auch der Gardinenverkäufer verstanden hatte: dass wir eine Lizenz zum Fahren großer Motorräder beantragen wollten. Ein paar Telefonate und dank der Englischkenntnisse unseres Engels namens „Raana“ klärte sich das Missverständnis auf. Ausländer dürfen ohne Lizenz auch große Motorräder fahren! Dass meine kleine Pet mit ihren 350ccm und 27PS hier ein Riesenmotorrad ist, amüsiert mich tagtäglich.
Die Adresse, die man unserem Engel nun erklärte, lag weit weg und so packte sie uns kurzerhand in ihr Auto und fuhr uns dort hin. Unterwegs rief sie ihre Mutter an, damit diese ihren Sohn aus dem Kindergarten hole. Im Versicherungsbüro selbst konnte man zwar etwas mit uns anfangen, aber keiner konnte Englisch, sodass Raana weiter bei uns blieb und dolmetschte. Insgesamt knapp drei (DREI!) Stunden blieb sie bei uns! Würde das in Deutschland passieren?
Abends waren wir mit unserem Engel vom Vortag, Raana, verabredet. Wir wollten sie und ihre Familie als Dankeschön zum Abendessen einladen. Die Adresse, die sie uns nannte, war in einem noblem Viertel der Stadt und das italienische Restaurant hätte auch bei uns sein können. Statt ihres Mannes hatte Raana ihre beste Freundin Anita mitgebracht und wir spachtelten lecker italienisch mit 7 Personen für umgerechnet 22 Euro. Inklusive Cocktails. Alkoholfrei natürlich.
Raana musste mit ihrem kleinen Sohn heim, aber ihre Freundin Anita hatte beschlossen, dass wir die größte Sehenswürdigkeit der Stadt noch nicht gesehen hatten. Obwohl es nach 22 Uhr war, kutschierte sie uns dort hin: im El Goli Park ein Pavillon in einem künstlichen See. Naja. Viel netter war, dass ihr Mann dazu kam und wir von ihnen interessante Einblicke in das Leben der gehobenen Mittelschicht bekamen: sie Ärztin, er Sportlehrer, planen sie, nach Kanada auszuwandern, lernen dafür Französisch und sagen, dass sie in ein Leben in diesem Staat keine Kinder in die Welt setzen möchten. Es war weit nach Mitternacht, als uns ihr Mann vor unserem Guesthouse absetzte…
Heute regnet es und wir sind unsichtbar. Hoffen wir zumindest. Wir haben allen unseren neuen Freunden erzählt, dass wir heute weiterfahren. Die iranische Gastfreundschaft ist unglaublich und wer das 1x erlebt hat, findet die verschlossenen Türen und Menschen in Deutschland merkwürdig. Wer das noch nicht erlebt hat, findet uns und diese Aussage merkwürdig. Wetten? Nur sind wir hier jeden Tag mindestens 1x verabredet gewesen oder eingeladen worden und das ist auf Dauer etwas anstrengend, sodass wir nun einen Tag Pause brauchen. Dann sollte der Regen aufgehört haben und morgen rollen wir weiter.
Und wenn wir uns Mal nicht melden, dann liegt es daran, dass gerade keiner unserer zwei VPN Tunnel funktioniert. Da im Iran die meisten Internetseiten, die wir so nutzen, gesperrt sind, müssen wir immer über einen VPN Tunnel online gehen. Das funktioniert zwar besser, als gedacht, aber nicht immer. Und wenn, dann langsam. Das Wahrscheinlichste aber ist: wenn Ihr nichts von uns hört, sind wir einfach nur wieder von lieben Iranern entführt und gemästet worden! Bis wir wieder frei gelassen wurden und genug Verdauungsschlaf gehalten haben, könnt Ihr ja noch unser letztes georgisch-armenisches Vdeo anschauen:

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Toller Bericht! => 100 %-Upvote. :)

Danke Dir!

Wie gewohnt ein schöner Bericht, wo sich Text und Video ergänzen. Danke und weiterhin gute Fahrt!

Danke! Statt langweiliger Fotoalben versuche ich, den Text mit Fotos zu ergänzen, bzw. die Fotos mit Text zu würzen :-)

Super cooler Artikel, danke dafür!

Und ich weiterhin einde wunderbar gastfreundliche Reise mit vielen schönen Erfahrungen ;)

Danke! Wir haben schon viele, viele neue Erfahrungen mit Gastfreundschaft gemacht. Jan musste eben bei Friseur nichts zahlen, ich bekam gerade das Mittagessen geschent. :-) Unvorstellbar in Deutschland, oder?

Ein wunderbarer Artikel, aus einem mir völlig fremden Land.
Hat Spass gemacht zu lesen. 😎

Na, dann fahr Mal hin! Gibt recht günstige Flüge nach Teherean, so um die 350€ return. :-)

Immer wieder erstaunlich, wie gastfreundlich die Menschen sind, die man unterwegs kennenlernt :-)