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Die Flasche und der Träumer
Teil 1: Die Flasche
Keine Uhr tickt. Es ist Nacht. Hier draußen ticken keine Uhren.
Er ist wild und ungestüm.
Ein Blitz. Grellweiß, brennend, leuchtend, die Wolken brutal entzweiend, das Dunkel teilend. Zerreißt die Nacht - Schatten von Gesichtern stehlend.. Ein Wimpernschlag vergeht, der Donner kracht, brachial bebend im Herzen zu spüren. Zum Lichterspiel des Himmels gesellt sich zornig das Orchester. Wassertropfen prasseln hasserfüllt nieder, durchnässen jeden Fleck. Warm und unerbittlich, spielend leicht geworfen von der wuterfüllten Luft, angetrieben durch den wallenden Sturm.
Balladen sprechen von Göttern, kämpfend um die Vorherrschaft, von der Unerbittlichkeit des Himmels und der Gnadenlosigkeit des Schicksals. Sprechen von einem Krieg der Titanen in einer anderen Welt. Sie singen von Veränderung, von Erneuerung und der Geburt des Morgens.
Eine meterhohe Welle zerschellt gewaltsam an derBordseite.
Schreie und Kommandos tönen über Deck. Ein Mast birst unter dem Druck der Wogen, stöhnend und ächzend im letzten Widerstand. Fensterklappen vom Wind hin und her geschlagen. Geräusche hallen über das Schiff hinweg, weit hinaus ins Meer hinein. Verschluckt von Gischt und Schaum.
Rauch und der Geruch von Schweiß und Salz erfüllt die Luft und zieht stickig über Deck.
Dem entgegen brummt die Seemannschaft unnachgiebig ihre Ode.
Wie mit einem Pinsel gemalt: der Schrecken sichtbar in der Mimik einzelner. Im Anblick einer Welle groß wie zehn. Hastig laufen sie umher, angetrieben durch den Wunsch zu leben. Seile werden festgezurrt, Segel eingezogen, das Ruder ausgeschoben. Am Steuerrad der Kapitän, fest entschlossen Befehle brüllend. In der Ferne schon den Leuchtturm im Blick. Das Gesicht gezeichnet der Jahrzehnte, eingekerbt sind Wind und Wetter. Der Mund ein schmaler Strich, im weißen Barte eine Pfeife haltend. Der Tabak feucht und nass.
Die Große Welle schlägt darnieder auf des Schiffes Deck. Reißt mit sich in die Tiefe, Ladung und Gepäck. Wasser füllt den Rumpf des Schiffes, flutet die Kabinen. Fackeln längst erloschen, Düsternis umgreift die Szenerie.
Land in Sicht
Das Meer beruhigt sich, während das Morgenrot den Horizont erobert.
Spitze Klippen und Felsen, Leuchtturm, Brandung, Hafen sind zum Greifen nahe.
Wasser plätschert friedlich, vom Rumpf beiseite gedrückt, am Schiff vorbei. Vögel grüßen glücklich zwitschernd die erschöpfte doch zufriedene Mannschaft. Der Männer Nächste, Frauen und Kinder, stehen erwartungsvoll am Pier und winken voller Freude und Glück den so sehr vermissten Vätern, Ehemännern, Brüdern und Onkeln zu.
Bis zum Abendrot sind sie vereint, dann stechen sie erneut in See.
Teil 2: Der Träumer
Ein langer Tag nähert sich dem Ende. Die letzten Kunden gehen ein und aus.
Noch einige Male klopft es an der Tür, gefolgt von freudigem „Herein“.
Je später es wird, desto seltener wird die Tür geöffnet und geschlossen.
Es ist Abend.
Ein erfolgreicher Tag liegt hinter ihm. Er hat vielen Menschen geholfen, freundliche Worte gehört und Grüße erhalten. Wenn über ihn gesprochen wird, hört man stets gute Kunde.
Jeder ist zufrieden und es ist eine Freude, ihm zu begegnen. Er grüßt stets zuvorkommend, gewährt anderen den Vortritt und lässt keine Gelegenheit charmant zu sein ungenutzt vergehen.
Er steht von seinem Sessel auf, lässt das Rollo der Eingangstüre herunter, zieht Gardinen vor das Fenster, schaltet das Licht aus und dreht das Türschild um. „Geschlossen“ ist nun zu lesen.
Wie jeden Abend legt er eine Schallplatte auf seinen Plattenspieler, genehmigt sich ein Glas des tief roten, trockenen Weines und setzt sich an den Schreibtisch.
Doch er schläft nicht ein. Niemals schläft er ein. Je später die Stunde wird, desto wacher und fleißiger ist er.
Eine Flasche liegt auf seinem Schreibtisch. Sie ist einzigartig. Eine Armlänge lang und eine Handkante breit, durchsichtig und stabil. Er zieht den Korken heraus und die Flasche beschlägt von innen als er hineinbläst. Er verschließt sie wieder, legt sie vor sich auf den Tisch und betrachtet sie ganz aus der Nähe – und wartet. Er betrachtet wie das kleine hölzerne Schiff den Hafen verlässt und sich, mit den feinen, dünnen Holzstäben und den festgezurrten Segeln, im Winde dreht. Stunden vergehen. Er wacht.
So sitzt er dort, in jeder Nacht. Betrachtet das Schiff im Mondlicht und lauscht der Stille.
Ein fahler Lichtschein dringt durch ein Fenster zu ihm herein und spiegelt sich, geisterhaft gebrochen, in der Flasche wieder. Das Schiff nimmt Kurs.
Viele Nächte vergehen auf diese Art und Weise, ohne weitere Ereignisse und am Morgen des jeweils nächsten Tages geht er unverändert seinem Tagewerk nach.
Doch diese ist anders. In dieser Nacht sitzt er dort, still jedoch nicht unberührt. Sein Blick haftend auf dem Schiff im Sturm, im Glas. Ein Ereignis am heutigen Tage sollte alles ändern. Seine Gedanken und Gefühle rasen. Wie ein Theaterstück wandeln sie sich und mit ihnen wachsen die schäumenden Wellen. Jeder Gedanke, jede Sorge schwappt über die Reling der Galeere. Schweißtropfen bilden sich auf seiner Stirn.
Tiefer werden Nacht und Sturm. Unruhiger seine Blicke. Die Wellen höher und höher. Er kann die Gedanken nicht loslassen. Er kann die Mannschaft nicht retten. Die Unruhe im Bauch der Flasche ist wild und ungestüm. Mit zitternden Händen starrt er hinein in die tobende Welt. Außer Kontrolle trotzt es doch der Sturmes Macht.
Ein Schreck fährt in seine Glieder. Die Flasche beginnt zu rollen, im Takt schwankt das Schiff. So rollt sie langsam hin und her und hin und her. Rollt schneller und schneller hin und her.
Anfangs wenige Finger breit, kaum merklich. Doch mit zunehmendem Unwetter rollt die Flasche mit dem Boot kraftvoller, beginnt sich zu drehen. Schweiß und Tränen rennen über sein Gesicht. In Ehrfurcht dessen, was er hat getan. Die im Sturm kämpfende Mannschaft beobachtend, sieht er nach einer langen Weile das bekannte Morgenleuchten am Flaschenrand.
Ein Abflauen des Sturmes erwartend schaut er auf die Segel herab. Grau, die meisten gerefft, andere stark gewölbt das Schiff vorantreibend, sofern die Masten nicht gebrochen.
Der bald aufgehenden Sonne zum Trotz und entgegen der Erwartung des Träumers, nimmt der Sturm weiter zu, schert sich nicht. Aus Furcht wird blanke Panik. Er weiß, dass es keinen Weg gibt, zu verhindern, was da kommt . So rotiert die Flasche heftiger, beginnt sich unermüdlich schnell zu drehen.
Ein dumpfes, anhaltendes Brummen erfüllt die Luft im Raum um ihn herum. Bedrohlich schwillt es an, dumpf, durchdringend. Schrank- und Regaltüren klappern, aufeinanderschlagende Porzellanteller klirren, Fensterscheiben vibrieren, das fast geleerte Weinglas kippt und fällt vom Tisch, zerschellt in schreienden Splittern auf den Mamorfliesen. Des Weinglases Blut sickert zwischen den Scherben hervor. Ungeachtet dessen dreht sich die Flasche tanzend schneller. Der Raum beginnt zu beben. Unvorstellbar laut.
Plötzlich! Der Korken löst sich knallend von der Flasche und schießt in einen Spiegel. Es scheppert laut und ein Spinnennetz überzieht die Oberfläche. Einen Wimpernschlag später platzt die Flasche, scharfe Stücke zerschneiden Luft, Gardine, schneiden ein ins Fleisch. Unser Träumer hebt schützend die Hände vor die Augen.
Eben noch gehalten von der Flasche ergießt sich Wasser über Tisch und Boden, benetzt Regal und Kerzenständer, macht nicht halt vor Tür und Fenster, Sturm verweht ihm Briefe und Dokumente, schmeißt umher den Füller und die Bücher, zerrt bedrohlich hoch am Kronleuchter. Verletzt erhebt er sich. Die Beine tief in Fluten, triefend nass das Hemd und seine Hose, stellt er sich erhaben, eindrucksvoll vor die dem Traum entronnene Galeere. Klarheit schießt durch seinen Verstand und entschlossen kämpft er sich durch die Wassermassen durch zum Fenster, reißt beiseite die Gardinen und auf das Fenster. Licht dringt ein. Sonnenstrahlen finden ihren Weg herein und beleuchten die eben noch schwimmende Schale. Wasserdampf versperrt die Sicht und zieht hinaus als würde er herausgesogen.
Unser Träumer dreht sich um und blickt auf das Chaos. Auf dem Boden, dort liegt das kleine Schiff. Unscheinbar, als wäre all das nie passiert.
Er bückt sich, hebt es auf. Dann legt er es auf den Tisch, greift nach seinem Werkzeug und beginnt das Schiff zu reparieren. Sobald der Kleber getrocknet ist und die Galeere bereit ist, die nächste Reise anzutreten, wird er Ordnung schaffen. Bis es soweit ist, werden nur wenige Kunden sein Büro betreten und seine Dienste in Anspruch nehmen.
Es ist Mittag. Die Sonnenstrahlen scheinen hell leuchtend auf die Eingangstür. Kaum ein Mensch mag hier vermuten, was des nachts passiert, wenn alle schlafen, dort, wo keine Uhren ticken.
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Willkommen zurück am Lagerfeuer. Ich hoffe Du hattest einen spannenden Tagtraum und bist wohl behalten zurück gekehrt. Was denkst Du, ist der Hintergrund dieser Geschichte?
Schöner text, Gefühlschaos, gevotet resteemt
Habe ich gesehen. Ganz lieben Dank für Deinen Support. Freut mich, dass es Dir gefällt.
Hi @sirachaz , dein Lagerfeuer bei "post-promotion" hat mich anelockt . Abo ist raus . L G unsuwe
Na, da fühle ich mich doch geehrt, dass Du vorbeischaust. Danke & ein schönes Wochenende
Wow! Beeindruckend geschrieben! Nahezu meisterhaft! Da freut man sich schon auf mehr. :)
Freut mich, dass Dir die Geschichte gefällt.
Liebe Grüße
Thorsten
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