Eine nicht ganz fiktive Kurzgeschichte aus dem Innviertel.
Auf dem Land, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, in dem Land, in dem Nachnamen keine Bedeutung haben, steht ein kleiner Hof, dessen Besitzer schon immer den Namen „Oswoid“ (Oswald) trug. Einer der Nachbarn ist der „Oaschuasta“ (=Eierschuster), weil dessen Großvater, der Schuster hieß, immer mit Eiern am Rücken durch die Gegend zog, und diese verkaufte, um seine Kinder irgendwie durchzubringen. Ein anderer nennt sich Parangerl, wieso weiß heute niemand mehr.
Am Tisch meines Großvaters lag eine Sterbeanzeige einer Nachbarin, einer gewissen Marianne Büchner. Ich hatte den Namen noch nie gehört. Wer denn das sei, fragte ich meinen Vater.
„Woast net, die Schuastaweberin!“, bekam ich zur Antwort, und war betroffen. Natürlich, die Alte vom Nachbarhof, Schusterweberhof genannt, die Freundin meiner Großmutter. Vor zwei Wochen ist sie gestorben, eine Woche vor dem alten Oswoid-Bauer, meinem Großvater.
Die ganze Familie ist gekommen, um ihn zu begraben. Wir alle füllen die ersten Reihen der Kirche, dort, wo auch mein Großvater einst saß. Der Feuerhauptmann haltet eine Rede am Altar. Ihm ist anzumerken, dass er sich in seiner Rolle nicht wohl fühlt, nervös wandern seine Blicke zwischen uns und dem Pfarrer ihn und her, bis er sich entschließt, auf seine Notizen zu blicken.
Der Oswoid, sagt er, war ein sehr engagierter Mann. In der Nachkriegszeit meldete er sich zur freiwilligen Feuerwehr und blieb ihr sein Leben lang treu, zuerst als aktiver Feuerwehrmann, dann als alter Veteran und Besucher sämtlicher Veranstaltungen. Auch in der lokalen Politik sei er aktiv gewesen und er wird sein Andenken immer behalten. Als der Hauptmann endet, geht er schnellen Schrittes nach hinten und setzt sich erleichtert.
Der Pfarrer füllt den Weihrauchbehälter und setzt sich in Bewegung. Da sieht er einen Mann aus den Reihen nach vorne gehen und zieht sich schnell wieder zurück. Noch eine Rede, diesmal vom Bürgermeister, einem hageren, weißbärtigen Mann.
Der Oswoid, sagt er, war ein sehr engagierter Mann, drei Perioden lang im Gemeinderat tätig, und besonders seien ihm die Belange der Bauern ein Anliegen gewesen. Außerdem habe er sich sehr für den Bau neuer Straßen eingesetzt, und vor allem mit dem Bau des Güterwegs in der Schärdinger Au verbinde er den Namen Oswoid, den er immer im Andenken behalten wird. Dann rasselt er Jahreszahlen herunter, und geht zurück in die hinteren Reihen.
Diesmal setzt sich der Priester der Vorsicht zuliebe nicht sofort in Bewegung, und so bleibt dem dritten Redner, dem Obmann des Bauernbundes, genug Zeit, sich ohne weitere Peinlichkeit nach vorne zu begeben.
Als er sagt, dass der Oswoid ein sehr engagierter Mann war und er sein Andenken immer behalten wird, verschließe ich meine Ohren und entwerfe einen eigenen Nachruf.
Was ich in Erinnerung behalten werde, denke ich, sind keine Jahreszahlen seiner vielen Aktivitäten, von denen ich bis vor zehn Minuten nichts wusste. Ich werde einen alten Mann in Erinnerung halten, den wir immer schon 'Bauer-Opa' nannten. Die Honigbrote, die er damals in meiner Kindheit strich, mit so viel Butter und Honig, dass unsere Eltern ernsthaft versucht waren, sie uns wieder weg zu nehmen. Die glücklichen Tage mit ihm, als er mir als Sechsjährigen das Traktorfahren beibrachte. Seinen alten Lehnstuhl, an dem wir als Kinder lachend vorbei rannten, um seinen Armen zu entkommen, immer wieder. Die Kreuzworträtsel, über denen er stundenlang brüten konnte. Das sind die Dinge, die mir in Erinnerung bleiben werden. Seine größten Verdienste waren nicht seine Aktivitäten, sein größter Verdienst war diese Familie.
Das „Gegrüßet seist du Maria“ der Vorbeterin weckt mich aus meinen Gedanken. Wir stehen schon am offenen Grab, in das der Sarg von vier Feuerwehrleuten hinunter gelassen wird. Der Rest der grün-roten Männer salutiert, dann entfernen sich alle, auch der Totengräber, der in Jeans und einer dreckigen grünen Jacke gekommen ist. „In Gedenken an Ludwig A.“, steht auf dem Holzkreuz neben seinem Foto.
Baba Opa!, denke ich, während meiner Tante neben mir Tränen über die Wange laufen.
Und wir gehen wieder hinaus in das Land, das im grauen Nebel versinkt, in das Land, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, in das Land, das aus Ludwig A. den „Oswoid“ machte, und ihm diesen Namen wieder nahm, als er in seine Erde zurückkehrte.
Bild: pixabay
Wunderbare Geschichte mit schoenem Bild, die gut in die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr past. Zeit zum Innehalten...
Gesundes neues Jahr !
Danke. Bild ist aber ehrlicher weise von pixabay - hab die Quelle rein editiert.
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