Nachdem die juristische Ausbildung für mich jetzt schon eine Weile abgeschlossen ist und ich, wie man so schön sagt, die Befähigung zum Richteramt erreicht habe, ist es an der Zeit meine persönliche Erfahrung damit zu teilen.
Aufgrund der Länge habe ich mich dazu entschlossen, den Text in zwei Teile zu splitten. Im Ersten geht es nur um meine Erfahrungen im Studium; im Zweiten um das Referendariat und welche psychischen Auswirkungen die Ausbildung haben kann.
Die Einführungstage
Die Einführungstage vor knapp 10 Jahren waren aufregend, die Eröffnung einer neuen Welt. Man saß zusammen mit anderen 800 „Erstis“ im Audimax, Stimmengewirr, hysterisches Gelächter, erfreut auf entfernte Bekannte zu stoßen. Der erste Redner trat auf, nach der netten Begrüßung kam gleich harter Tobak: „Schaut euch um, euer rechter und linker Sitznachbar, der vor und der hinter euch, werden am Ende nicht mehr da sein.“ „Jeder zweite von euch wird im Laufe seines juristischen Daseins Alkoholiker werden.“ „Ich sehe einen riesigen Tornado hinter euch aufziehen.“ Diese Sätze bleiben auch nach 10 Jahren noch Kopf. Damals schüttelte man sie noch mit nervösem Gelächter ab; ein fahler Beigeschmack blieb.
Das Grundstudium - Kennenlernen eines völlig neuen Bewertungssystems
Das Studium begann: Grundkurs Zivil- und Öffentliches Recht, später kam Strafrecht hinzu. Die ersten Klausuren standen nach wenigen Wochen an, über die Weihnachtsferien war jeweils eine Probehausarbeit zu fertigen. Die größte Herausforderung lag aber darin, die juristische Bearbeitungsweise zu verstehen. Die Fälle mussten im Gutachtenstil gelöst werden. Obersatz bilden, Norm finden, Tatbestandsmerkmale erkennen und definieren, anschließend subsumieren (den Sachverhalt anhand der definierten Tatbestandsmerkmale analysieren).
Ist nicht so einfach, wie es sich anhört. Allzu oft vergisst man Offensichtliches, verwendet Indikativ, wo Konjunktiv angebracht wäre, stellt das Ergebnis voran oder lässt die Subsumtion weg. Welche Meinungsstreits müssen ausführlich erörtert und welche nur angedeutet werden? Wie kann man sich das alles merken und in der kurzen Bearbeitungszeit wiedergeben?
Außerdem wurde man mit einem völlig neuen Bewertungssystem konfrontiert. Es richtet sich nach § 1 der Verordnung des Bundesministers der Justiz über eine Noten- und Punkteskala für die erste und zweite juristische Prüfung:
sehr gut | eine besonders hervorragende Leistung | 16 - 18 Punkte |
---|---|---|
gut | eine erheblich über den durchschnittlichen Anforderungen liegende Leistung | 13 - 15 Punkte |
vollbefriedigend | eine über den durchschnittlichen Anforderungen liegende Leistung | 10 - 12 Punkte |
befriedigend | eine Leistung, die in jeder Hinsicht durchschnittlichen Anforderungen genügt | 7 - 9 Punkte |
ausreichend | eine Leistung, die trotz ihrer Mängel durchschnittlichen Anforderungen noch entspricht | 4 - 6 Punkte |
mangelhaft | eine an erheblichen Mängel leidende, im ganzen nicht mehr brauchbare Leistung | 1 - 3 Punkte |
ungenügend | eine völlig unbrauchbare Leistung | 0 Punkte |
Mit 4 Punkten besteht man die Prüfung, mit 9 erreicht man ein Prädikat, mit dem alle Türen offen stehen. Ein gut oder sehr gut nur einmal in der seiner universitären Laufbahn zu erreichen, bleibt ein Traum vieler Studenten. Mit Faulheit hat das nichts zu tun. Jura ist mehr als nur Wissen abzuspulen. Leicht übersieht man ein entscheidendes Problem, setzt die Schwerpunkte falsch, hält den Gutachtenstil nicht konsequent ein oder das Gegenteil, übertreibt damit. Worte aus dem allgemeinen Sprachgebrauch haben rechtlich oft eine abweichende Bedeutung; auch ein juristisch korrekter Schreibstil muss mühsam erlernt werden.
Das Notensystem ist so angelegt, dass es nicht ausgereizt wird. Die allergrößten Überflieger müssen schließlich noch davon erfasst werden. In meinem Prüfungsjahr erreichten 3,14% ein gut oder sehr gut (Quelle: Bericht des Bayerischen Landesjustizprüfungsamtes für das Jahr 2013).
In der Schule bekam man ohne übermäßigen Einsatz mindestens ein gut, jetzt musste man damit zurechtkommen, trotz enormer Anstrengung nur ein ausreichend zu schaffen. Dies ließ mich zusammen mit mancher Korrekturbemerkung am eigenen Verstand zweifeln.
Ich entwickelte eine Prüfungsangst und ging zu einigen Klausuren nicht mehr hin. Die Furcht war zu erdrückend.
Natürlich entging mir dadurch aber Übung, die juristische Arbeitsweise zu verinnerlichen, sodass sie mir eben nicht in Fleisch und Blut überging. Das Scheitern war vorprogrammiert und ich musste den Grundkurs Strafrecht wiederholen, was mich ein Jahr kostete. Grundsätzlich kein Drama, aber Zeit, die mir später für die Examensvorbereitung fehlte.
Das Hauptstudium – hinschmeißen oder durchziehen?
Das Hauptstudium besteht aus Fortgeschrittenenübungen, in denen jeweils eine Klausur und eine Hausarbeit erfolgreich abzulegen waren. Diese Übungen hatten nahezu Examensniveau, was mich schier verzweifeln ließ. War ein Themenkomplex aufgearbeitet und verstanden, stand der nächste Berg an, während man das kürzlich Erlernte wieder vergaß.
Auswendiglernen lag mir nie und so schnitt ich auch im Strafrecht, dem Fach, das mir am Herzen lag, lediglich durchschnittlich ab. Ich konnte mir die ellenlangen Definitionen und Meinungsstreits nicht merken, fing daher an, mir nur noch Stickpunkte einzuprägen und daraus in den Prüfungen die passenden Begriffsbestimmungen zu basteln. Das kostete aber zu viel Zeit, ich wurde nicht mehr fertig.
Ich zweifelte an mir selbst. War ich geeignet für dieses Studium? Würde ich den Druck standhalten? Ich verkraftete es zunehmend schlechter, keine Anerkennung für eine Leistung, in die man viel Energie gesteckt hat, zu erhalten, sondern nur die Fehler vor Augen geführt zu bekommen. Selbstvertrauen war nicht mehr vorhanden.
Doch ich kämpfte weiter, denn es gab einen Lichtblick: Das Wählen des Schwerpunktbereichs, ein eigener Teil im Studium, in dem man sich vertieft mit seinem „Lieblingsgebiet“ beschäftigen konnte. Ich wählte Strafrecht und lernte unter anderem die forensische Psychiatrie kennen, wie Gutachten von Straftätern erstellt werden, wie die Rechtsmedizin arbeitet, die Unterschiede von Erwachsenen- und Jugendstrafrecht und wie das Strafmaß gebildet wird. Es war faszinierend und weckte Neugier auf eine berufliche Zukunft in dem Bereich. Ich vergaß zeitweilig die Schwierigkeiten, die ich im Studium hatte und saugte das Wissen, das über den Tellerrand hinausging, in mich auf.
Doch auch das Schwerpunktstudium hat einen Haken: es sind eine Seminararbeit und eine Klausur zu fertigen, die zu 30% in die Abschlussnote einfließen. Die Arbeit war kein Problem, aber die Prüfung löste alles von Neuem aus: Panik, Überforderung, da das Augenmerk wieder auf Auswendiglernen lag und die Stoffmenge vermeintlich nicht zu bewältigen war. Ich war gelähmt und erzielte kaum Fortschritte. Ich bereute es, das Studium nicht abgebrochen zu haben, doch nach dem 9. Semester war es zu spät. Jetzt gab es keine andere Wahl mehr, als es durchzuziehen.
Die Examensvorbereitung - die kommerzialisierte Panikmache
Mit steigender Semesteranzahl rückte das Grauen näher: Examen. 6 Klausuren à 5 Stunden in anderthalb Wochen. Sämtliches Wissen und Können seit dem 1. Semester werden abgeprüft. Zusätzlich liegt ein Schwerpunkt auf Verständnis, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt etwas Unbekanntes dran oder etwas, an das man sich schlicht nicht erinnern kann.
Zu meiner Studienzeit steckte das kostenlose Examenstraining der Uni noch in den Kinderschuhen. Der Ruf war nicht der Beste und die angebotenen Kurse waren für pendelnde Studenten schlecht über den Tag verteilt: morgens ein Kurs, lange Pause und der Nächste um 18 Uhr. Für mich, die nicht den ganzen Tag still in der Bibliothek sitzen kann, um so den Leerlauf zu nutzen, nicht sonderlich gut geeignet. Daher entschied ich mich wie der Großteil der Kommilitonen für den kommerziellen Repetitor, der durch seine Werbemasche am meisten Aufmerksamkeit erzielte: Hemmer. Da gab es 2 Vormittage in der Woche Unterricht und einmal zusätzlich Klausurenkurs, in dem eine vorher angefertigte Klausur besprochen wurde.
Hemmer ist ein zweischneidiges Schwert: Sie bieten viel Wissen, das sie mit der Hemmer-Methode und den „sounds“ (Essenz des zu lösenden Falles) vermitteln wollen. Sie diktieren Textbausteine, für wiederkehrende Probleme, die auswendig gelernt in der Klausur reproduziert werden sollen. Die Dozenten waren fachlich und größtenteils auch pädagogisch sehr gut, nahbar und erzählte auch von ihren Angstattacken in der Examenszeit.
Aber Hemmer arbeitet auch mit der Panik, der Studenten. Es wird immer gepredigt: „Probleme schaffen, nicht wegschaffen!“ Soll heißen: Übersieh keine Probleme, zeig lieber noch ein paar mehr auf und löse sie nicht zu schnell auf. Der Weg ist das Ziel. Diese Denkweise wird dir eingebrannt. Die Klausuren von Hemmer sind wesentlich anspruchsvoller als die im Examen und werden strenger korrigiert – weiß man da nur nicht, da das Examen noch bevorsteht. Dementsprechend fällt man durch oder schreibt schlechte Noten am laufenden Band.
Die Panik und Verzweiflung nahmen zu. Man hielt sich für den größten Versager auf Erden. Nichts anderes dringt mehr durch. Man ist in der „Examensblase“: 24/7 wird am Schreibtisch gesessen. Zwar nimmt man sich mal eine Auszeit, ein Abend mit Freunden, ein freier Sonntagnachmittag, den man mit blödsinnigen TV-Sendungen verschwendet. Aber mit dem Kopf ist man immer bei Jura. Die Gedanken kreisen stets darum. Bei mir kam noch der Zeitdruck durch die Ehrenrunde hinzu, spätestens nach dem 12. Semester wurde man zum Examen zwangsangemeldet. Anderthalb Jahre Vorbereitungszeit ist nicht viel. Innerlich stumpft man ab, positive Gefühle dringen kaum mehr durch. Spaß kennt man nicht mehr. Jeden Fehler, den man macht, nimmt man persönlich, denn er drückt einen Misserfolg aus.
Das Examen
Die entscheidende Zeit nahte. Vorbereitet fühlte ich mich nicht. Ich habe nicht ansatzweise alles durcharbeiten können, was ich mir vorgenommen hatte. Die Woche der Prüfungen war der blanke Horror. Aufstehen, ins Auto setzen, hinfahren. Wie ein Irrer möglichst viel aufs Papier bringen. Nach Hause fahren, irgendwelche Übersichten anstarren, in der Hoffnung sie kommen am folgenden Tag dran. Geschlafen und gegessen habe ich kaum. Aber man funktioniert in dem Moment.
Warten und die mündliche Prüfung
Ich spürte nichts mehr. Längst hatte ich den Kontakt zu mir selbst, meinen Gefühlen und Intuition verloren. Ich vegetierte vor mich hin, verzweifelt suchte ich nach Halt, fand ihn aber nicht. An das, was ich in der Zeit danach getan habe, kann ich mich kaum erinnern. Ich habe nur auf den Brief mit den Ergebnissen gewartet. Ich wusste zwar, ich sollte beginnen mich auf die mündliche Prüfung vorbereiten, zu der man erst nach den bestandenen Schriftlichen zugelassen wurde. Aber ich war davon überzeugt, dass ich es eh nicht geschafft habe. Mir graute es davor, die Unterlagen wieder in die Hand zu nehmen.
Der Tag der Ergebnisse kam. Den Postboten jagte ich mittags durchs Dorf. Seine Route führte ihn üblicherweise erst abends zu uns. So lange zu warten, hätte ich nicht mehr ausgehalten. Er überreichte mir etwas verwundert, nachdem er sein Auto durchsuchen musste, einen kleinen Brief. Ich hatte bestanden! Die pure Erleichterung und Glückseligkeit! Ich stieg in mein Auto und öffnete ihn; die Noten waren schlecht. Die Freude war dahin. Dieses Ergebnis ist auf dem Arbeitsmarkt nichts wert. Wieder versagt.
In der folgenden Zeit konnte ich mich kaum motivieren, noch für die mündliche Prüfung zu lernen und daher verlief sie für mich nicht sonderlich gut. Aber es war geschafft und das Studium beendet.
Ich finde die Überschrift so rein wissenschaftstheoretisch etwas forsch, aber der Bericht war packend und erschreckend zugleich. Hab schon einige solcher Jura Horrorstories gehört. Bin auf Teil 2 gespannt!
Spannend: Wäre die Ausbildung für Richter/ Anwälte in einer PRG dieselbe?
In Deutschland ist die Ausbildung für Richter und Anwälte dieselbe. Nach dem 2. Staatsexamen ist man Volljurist. Damit erreicht die Befähigung zum Richteramt, kann sich also bei der Justiz bewerben oder aber auch als Anwalt zulassen.
PRG steht für "Privatrechtsgesellschaft" also Richter sind keine beamte sondern kündbare Schiedsrichter.
Wer sagt, dass Du versagst hast?
Studium ist sowieso Zeitverschwendung.
Du hast es durchgezogen. Angesichts der Umstände bewundernswert.
Außerdem ist egal, was war. Wichtig ist, was vor Dir liegt.
Es ist schwierig, dieses merkwürdige Denken wieder mit der Realität zu vereinen, aber das wird schon alles.
Was macht dein Rücken?
13 days ago I read something a wise person shared here on steemit:
"Immer gibt es Rückschläge, durch die man aus der Bahn geworfen wird. Die Kunst liegt darin, diese anzunehmen und weiterzumachen. Daran zu glauben, dass alles einen Sinn hat."
haha, won't call myself a wise person :D This is the background story.
Mein Bruder hat auch Jura studiert; daher kann ich deine Schilderung gut nachvolziehen. Upvoted.
Kommt die Charakteränderung noch?
In Teil 2.
@flauschi ist Anwalt der Strasse. R.I.P. Liebling Kreuzberg.
Ah ein Profi 😁
Ich hätte mal eine Fachspezifische Frage, ist ein Schreiben mit einer Vertragsänderung immer an die Din 5008 gebunden, speziell die unterschiedlichen Anreden im Briefkopf und die danach im Text ?
Ich kenne mich nur mit Elektrotechnik wirklich aus und mir fehlt grade die Zeit zum Jurastudium ^^ Das Juristendeutsch ist eine Fremdsprache für sich, Respekt das durchzuziehen ist schon eine Leistung :)
Eine packende Geschichte. Ich dachte es gäbe ein happy end... Oo
Ich bin gespannt auf Teil 2!
Danke für die Schilderung Deiner Erfahrungen beim Studium.
Respekt dafür, dass Du das Studium trotz aller Widrigkeiten
durchgezogen hast.
Deine Einführungstage waren wohl schon ein vorausschauendes
Winken des Abendgrauens. Prüfungsangst, Bangen und
Verzweiflung haben wohl viele Studenten während ihres
Studiums.
Ich frage mich jedoch, was nach dem Studium hängen bleibt, wenn
nur auswendig gelernt wurde.
Lernen sollte eigentlich Freude bereiten. Sich mit einem neuen
Thema auseinandersetzen zu dürfen, könnte auch Glück bedeuten.
Vielleicht sind dies auch nur hehre Vorstellungen.
Langfristig und besonders in Bezug auf die Berufspraxis, werden
Lerninhalte jedoch nur mit einer großen inneren Motivation
behalten. In der praktische Anwendbarkeit von Theorien findet
Lernen letztlich statt.
Danke, dass wir an Deinen Erfahrungen teilhaben konnten.
Alles Gute und viel Erfolg für Deinen weiteren Berufsweg.