Kein Vergeben, kein Vergessen: Westdeutsche Enttäuschung

in #deutschlast month
Nach dem Wahldebakel wagen alle einen furchtlosen Blick auf das Fremde.

Sie sind undankbar. Eigensinnig. Mucken auf, denken quer, wählen falsch. Die Ostdeutschen, sie gelten auch fast 35 Jahre nach ihrer gnädigen Wiederaufnahme im richtigen Deutschland als schwer handhabbare Minderheit. Ein trotziges "Pack", wie es Sigmar Gabriel in einem Moment genannt hatte, als ihm das Gemecker und Geblöke wirklich über die Hutschnur ging. Nichts wissen, aber überall mitgackern. Keine Ahnung von Demokratie, aber meinen, wählen zu können, was man will.  

Kein Vergeben, kein Vergessen

Der Historiker Jan C. Behrends würde es so nie sagen. Doch dass er den Ossis nie verzeihen wird, dass sein Berufsleben mit einer Sonderprofessur an der abgelegenen Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder gekrönt wird, ist seiner Analyse der Ergebnisse der EU-Wahl leicht zu entnehmen. 

Behrends, zugezogener Experte für das Ende der postsowjetischen Epoche und die "Bedeutung der 90er Jahre für das 21. Jahrhundert", sieht in der Blaufärbung der früher roten Gebiete der ehemaligen DDR nach den Wahlen in diesem bewegten Jahr ein deutliches Zeichen dafür, dass "Ostalgie mehr ist als nur ein wenig DDR-Folklore". Ostalgie ebne "den Weg in die autoritäre Herrschaft, sie bedeutet die Ablehnung der Westbindung und damit letztlich der offenen Gesellschaft", meldet der Wissenschaftler aus Feindesgebiet.

Unter Fremden

Behrends ist gebürtiger Bremer, mithin ein Junge aus dem letzten bisschen Häppchen Deutschland, das so wählt, wie er es sich wünschen würde. Doch ein grausames Schicksal hat ihn ausgerechnet dorthin verschlagen, wo die Menschen, die ein großzügiges Westdeutschland vor dem Kommunismus gerettet hat, das glatte Gegenteil dessen tun, was die sollen. 

Niemand versteht das, nicht bei der ARD, nicht beim ZDF, nicht bei unter den wagemutigen Reportern von "Zeit", "Stern", "SZ" und "Spiegel", die sich vor der großen Abstimmung über die Zukunft von Ampel, EU, Klima und Globus wie einst Hodscha Nasreddin unter das gewöhnliche Volk gemischt hatten, um zu berichten, was an Fake News geglaubt, was an Falschem gedacht und an Verletzungen aus grauer Vorzeit bis heute hingebungsvoll gepflegt wird. 

Ein Volk wird besichtigt

Ein Volk, das "gegen die Demokratie" (BR) vorgeht, wurde besichtigt. Man führte den Patienten vor Augen, was Widerworte riskieren. Selbst der Ostbeauftragte, politisches Pedant zum Behinderten-, LGBTQIPTRDGT- und zum Beauftragten für die Länder des westlichen Balkan, lud zu öffentlichen Veranstaltungen ein.

Wie Jan C. Behrends wagten alle einen furchtlosen Blick auf das Fremde, auf jenen exotischen Menschenschlag, der sich nicht lösen kann aus der Gefangennahme durch die Russen, die Kommunisten und die romantische Vorstellung einer kleinbürgerlichen Existenz mit Individualmobilität, eigener Scholle, zwei Kindern und einer auskömmlichen Rente nach 45 Jahren Arbeit. Unverschämt. Wo sie doch schon Begrüßungsgeld bekommen haben.

Honeckers Hirngespinste

Hirngespinste, die ihnen Honecker bis heute einflüstert, sogar denjenigen, die erst lange nach seinem Tod zur Welt gekommen sind. Die Sehnsucht nach dem Gestern, das mit der großen Transformation für immer überwunden werden soll, sie ist ausgerechnet dort am stärksten, wo die Vergangenheit geprägt war vom Zwang, zum Ruhme der Regierung und der Revolution Arbeiterlieder zu singen, von frühester Jugend an Uniform zu tragen, Altpapier und Flaschen zu sammeln und geduldig auf den Tag zu warten, an dem die allmächtige Administration beschließt, dem Untertanen ein Stückchen individuelle Mobilität zuzuteilen. 

Halb gezogen von der "Ostalgie" und halb gezwungen von den Einflüsterungen des Kreml bleiben die Eingeborenen und ihre Nachkommen der Idee verhaftet, Freiheit sei, dies alles nicht noch einmal erdulden zu müssen. Aus Sicht des Historikers Behrends gibt es trotzdem keinen Grund für niemanden, nicht eine der Parteien zu wählen, die Deutschland dorthin regiert haben, wo es derzeit ist. 

Westdeutsche Enttäuschung

Die westdeutsche Enttäuschung darüber, dass die auch nach 34 Jahren kaum nachhaltig demokratisierten neuen Mitbürger aus der "ehemaligen Ex-DDR" (Mariia Borysenko) störrisch sind, ja, stur geradezu, und inzwischen einen großen Teil der großzügigen Betreuungsangebote aus den wohlhabenderen Gebieten der Republik ebenso brüsk ablehnen, wie sie einstmals die Westpakete mit den abgetragenen Jeans, den Kullerkaugummis  und dem Jacobs-Kaffee angenommen haben, enttäuscht selbst die, die wie Behrens lange geglaubt haben, die Eigensinnigkeit wachse sich eines Tages aus.

Irrtum. Nach dem Debakel bei der EU-Wahl sind es nur noch wenige verständnisvolle Westdeutsche wie der scheidende Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow, die um Verständis bitten. "Der Osten hat sich nicht zu entschuldigen", hat der Politiker der alten PDS/Linkspartei bestimmt und damit auch dem aus Gelsenkirchen stammenden Evonik-Chef Christian Kullmann widersprochen, der die Ossis gemahnt hatte, dass ihr "nationalistisches Getöse" Wirtschaft, Wachstum und Wohlstand schade.

Kampf um die Einheit

Im Kampf um die "emotionale Einheit Deutschlands" (Ramelow) darf das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden, nur weil es jetzt in den Brunnen gefallen ist. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst hat stattdessen ein Austauschprogramm vorgeschlagen, bei dem  Westdeutsche ein Jahr in Sachsen oder Thüringen verbringen müssen, während im Osten zurückgelassene Bürgerinnen und Bürger in den ehemaligen alten Ländern lernen, dass jeder, der die offene Gesellschaft ablehne, in der alle selbst darüber entscheiden, ob sie ihr Kreuz bei Union, SPD, Grünen oder FDP machen, gegen die demokratische Pflicht verstößt, Vertrauen immer wieder neu zu wagen.

Sort:  

!PIZZA !WINE !WITZ !LUV !BEER

@janasilver denkt du hast ein Vote durch @investinthefutur verdient!
@janasilver thinks you have earned a vote of @investinthefutur !

!invest_vote !LUV !PIZZA !wine !WITZ !LOLZ !Hugh

PIZZA!

$PIZZA slices delivered:
@mundharmonika(1/5) tipped @holgerfinn