Vielen Dank für diesen ausführlichen Artikel, der sehr viele Fakten, Überlegungen und Argumente enthält. Er hat in mir durchaus einen Nachdenkprozess eingeleitet. Interessant sind vor allem die vielen aufgeführten Vergleiche mit den Lösungen anderer Länder. Diese müsste man nun einer genaueren Prüfung unterziehen, da nicht immer alles so in der Realität existiert, wie es uns berichtet wird. Was mir nach wie vor nicht gefällt, ist der Umstand, dass noch mehr Geld über die Drehscheibe "Staat" geschleust wird. Sollte durch einen kostenlösen ÖPNV die Nutzung des Automobils zurückgedrängt werden, gehen natürlich auch die staatlichen Einnahmen zurück. Wir befinden uns nämlich in einem Regelsystem mit schwer zu überblickenden Wechselwirkungen. Die Idee, einen Rückgang der berufsbedingten Verkehrsbewegungen vor allem in den Stoßzeiten zu organisieren, ist nicht neu. Und jeder, der klar bei Verstand ist, wird volle U-Bahnen und Staus vermeiden, sofern ihm das irgendwie möglich ist.
Warum sollte ich als Nichtautofahrer mit meinen Steuern Autobahnen mitfinanzieren?
Das tust du nicht, denn der Straßenbau lässt sich allein durch die Einnahmen aus der Mineralölsteuer, der KfZ-Steuer und der LKW-Maut finanzieren, und es bleibt sogar noch Geld für den Rentenzuschuss übrig.
Welche Aufgaben sollte der Staat übernehmen?
Meiner entschiedenen Meinung nach möglichst wenig. Im Kaiserreich hatten "wir" Steuersätze von 10%. Es gilt bekanntermaßen
- 0% Steuern = Kapitalismus
- 100% Steuern = Kommunismus
Alle Zwischenwerte sind Sozialismus. Die Rufe nach dem "Nannystaat" sind immer weiter angewachsen, und wohin das führen wird, ist absehbar.
Ein ernstzunehmender Punkt ist die Frage, in wie weit die profitorientierte Privatisierung von Infrastruktur zu nicht hinnehmbaren Qualitätsverlusten führt. Das ist ein weites Feld.
Wenn in den nächsten Jahren der von vielen Mahnern erwartete globale Crash des Finanzsystems stattfinden sollte, werden wir uns über ganz andere Dinge unterhalten müssen.
Abschließend möchte ich nochmals betonen, wir anregend und fruchtbar die Diskussionen mit dir für mich immer sind.
Ein bisschen hart vereinfacht, dementsprechend gäbe es ausschließlich sozialistische Staaten auf unserem Erdball. Tatsächlich leben wir aber in einer Zeit des globalisierten Kapitalismus, der - schon klar - manchen immer noch nicht weit genug geht.
Mmn sollte sich der Staat überall dort zurückhalten, wo es um Einmischungen in die persönliche Freiheit der Bürger geht, aber das Bereitstellen der Infrastruktur muss letztlich von der Gesellschaft (=dem Staat) übernommen werden, weil es privat einfach nicht ordentlich funkioniert, wie zahllose Beispiele aus dem In- und Ausland zeigen. Und dafür braucht es leider entsprechende Finanzierung über Abgaben.
Der anarcho-kapitalistische Traum von der freiwilligen Steuer ist leider leicht realitätsfern - lasse mich gern eines besseren belehren, aber bislang konnte mir niemand auch nur im Ansatz belegen, wie das funktionieren soll.
Das moralische Problem der Archisten ist doch, dass sie einen Zugriff auf das Eigentum der zu beherrschenden Menschen benötigen, um die Ausübung der Herrschaft zu finanzieren.
Absolutistische Herrscher nehmen sich dieser Recht wenigstens unverblümt und ohne Umschweife. Der demokratische Archist bedient sich heuchlerisch einer Scheinlegitimation, indem er diesen Zugriff per "Mehrheitsentscheid" organisiert.
Hierzu gibt es die folgenden Sprüche:
Der von dir beobachtete weltweite Kapitalismus ist eine Sonderzone für die berühmten 1%. Ich beziehe mich aber auf die 99%.
Wenn du mir die Funktionsfähigkeit eines anarchistischen Systems, das nicht innerhalb kürzester Zeit in Verbrechen, warlords und dem universell angewandten Recht des Stärkeren ausartet, nachweisen kannst, bin ich ganz Ohr.
Ansonsten ist mir die Abgabe eines Teils meines Vermögens lieber.
Dein Einwand bzw. deine Nachfrage sind durchaus berechtigt. Wenn es dir ausschließlich um die Abwehr von Verbrechen und Gewalt geht, würde ich sogar mitgehen. Wir wären dann beim "Nachtwächterstaat".
Wer die Staatenlosigkeit lieber in der Hard-Core-Version mag, möge mal bei Hans-Hermann Hoppe (https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Hermann_Hoppe) oder vielleicht Oliver Janich nachlesen.
Um aus der Diskussion weitere Schärfe harauszunehmen:
Auch mit diesem sozialistischen Staatswesen geht es uns (noch) ziemlich gut.
Der technische Fortschritt hat einfach für so viel Wohlstand gesorgt, dass man eine riesige Verteilmasse hat.
Mehr Besorgnis erregt bei mir das Kriegsgetrommel des Westens und die spürbare Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Steuern sind ein Problem geringerer Priorität.
Der Staat versagt leider im Bereich Abwehr von Verbrechen und Gewalt auf ganzer Linie. Er wartet bis Dir Gewalt angetan wurde, kommt dann vorbei, nimmt den Fall auf und geht wieder. Um Deinen Schaden kannst Du dich selbst kümmern. Tritt der unwahrscheinliche Fall ein, dass der Verbrecher gefasst wird, darfst Du ihn noch mit deinen Steuergeldern eine gemütliche Gefängniszelle finanzieren.
Zusätzlich nimmt er Dir noch das Recht weg, Dich ausreichend selbst zu verteidigen. Da sind mir die Lösungen von Rothbard, Hoppe und Janich schon lieber.
Aber ich gebe Dir Recht, ein Minimalstaat wäre viel besser als der 70% Sozialismus den wir jetzt haben.
Bei letzterem gebe ich dir Recht, wobei man der Vollständigkeit halber anmerken sollte, dass die kriegstrommlerei nicht nur im Westen zunimmt. Der widererstarkte russische Bär (Ukraine, Syrien), die neue Supermacht China (südchinesisches meer) sowie alte Bekannte (Nordkorea, Iran, diverse nichtstaatliche Akteure) waren ja auch nicht gerade untätig in letzter Zeit.
Das freut mich, denn andere zum Nachdenken zu bringen ist das Maximum, was man von eigenen Artikeln erwarten kann. Umgekehrt stimmt natürlich auch, dass unabhängig davon, wie "sexy" eine Idee in der Theorie klingt, es immer noch der konkreten Umsetzung in der Praxis bedarf ... da muss dann jemand ganz konkret nachrechnen und mögliche Fallstricke aus dem Weg räumen.
Mich erinnert die Debatte ein wenig an die Diskussion über ein 'bedingungsloses Grundeinkommen', welche in ähnlichen Bahnen verlaufen würde: eine bestechend klingende Idee, die in Zeiten zunehmender Digitalisierung und Automatisierung mit Sicherheit früher oder später in den Fokus der politischen Diskussion geraten wird, konfrontiert mit der berechtigten Frage, wie so etwas dann zu bezahlen sei ...
Mir ist das Dilemma, einerseits einen schlanken, sich nicht für alles zuständig fühlenden Staat anzustreben und ihm andererseits solche zusätzlichen Aufgaben aufbürden zu wollen, durchaus bewusst. Da bin ich selbst auch immer noch dabei, nach meiner Position zu suchen ... Zu rechtfertigen versuche ich das im Falle eines frei nutzbaren ÖPNV mittels des 'Infrastrukturgedankens' und außerdem wegfallender Bürokratie (verzicht Kontrolleuere, Fahrtkostenerstattungen etc.). Dazu kommt der Wunsch nach sauberer Umwelt. Nun, es ist - wie immer - ziemlich komplex ... aber es ist wichtig, sich Gedanken zu machen. :)
Wie wäre es, wenn "wir" auf eine Steigerung des "Wehr"etats auf die von der NATO beschlossenen 2 Prozent verzichten, in etwa nach dem Motto
Das wäre dann auch ein "Weniger" an Staat!
Irgendwie habe ich gerade sehr häufig die "" benutzt.
Danke! Diesen Punkt habe ich (durch teilweises Weglassen von Text) korrigiert.