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RE: Die Morgenseiten - Tag 3: Mein RTL (German)

in #deutsch6 years ago

Hochachtung, so ein Outing erfordert Mut. Nun ja, du warst jung und brauchtest das Geld. 20 Jahre lang... also zumindest brauchtest du das Geld. :)
Wenigsten macht du jetzt diesen abartigen Scheiß nicht mehr - hoffe ich doch mal.

Mit der Serie über "Reality TV" meinst du wahrscheinlich Unreal. Die ist so gut, das ich nach ein paar Folgen aufgehört habe sie zu gucken. Schwer erträglich, wie tief Leute wegen Geld sinken können.
Deshalb finde ich auch die Diskussion über sexuelle Belästigung im Showbiz reichlich merkwürdig. Das gibt es seit bald 100 Jahren und jeder wußte es. Und nun ist es plötzlich ein Skandal? Schon klar...

Sort:  

Naja, soviel Mut jetzt auch wieder nicht. Ob du's glaubst oder nicht: Ich habe mir halt eingebildet, es sei besser, wenn ich da am Schnittplatz sitze, als jemand, dem alles egal ist und der nichts hinterfragt. Ich habe gedacht, ich könnte das System von innen heraus ändern und habe mich deswegen auch öfters mit Redakteuren angelegt oder habe die Firma verlassen, wenn es mir zu bunt wurde.

Es gibt sicher einige Dinge, die in unserer Gesellschaft schief laufen, obwohl sie seit langem bekannt sind und die man mehr oder weniger so lange hinnimmt, bis jemand den Mut findet, sie offen anzusprechen. Das ist auch immer eine Frage des kollektiven Bewusstseins und des Zeitgeistes.

Etwas naiv, und das meine ich jetzt nicht als persönlichen Angriff oder so. Aber im Haifischbecken Pazifismus predigen ist doch ziemlich vertane Zeit. Ist aber nicht neu, es gab ja auch mal eine politische Bewegung die durch den "Marsch durch die Institutionen" alles verändern wollte. Die haben sich dann auch entweder angepaßt oder haben aufgegeben.
Ich glaube kaum, das es heutzutage in den Medien (öffentl.-rechtl. oder privat) möglich ist eine eigene Meinung zu äußern - außer sie entspricht der gewünschten Linie. Etwas anderes sagst du vieleicht einmal, wenn du geschickt genug bist das durch zu schmuggeln. Aber danach ist dann auch schon Schicht - entweder du bist dann im Jobcenter, oder du kannst noch die Tiefgarage fegen wenn sie großzügig sind.

Ich glaube kaum, das es heutzutage in den Medien (öffentl.-rechtl. oder privat) möglich ist eine eigene Meinung zu äußern - außer sie entspricht der gewünschten Linie.

Das kann ich meiner Erfahrung nach (jedenfalls im Infotainment Bereich) so nicht bestätigen. Das Problem war eher, dass die Redakteure oft eine Geschichte gedreht haben und noch gar keine Vorstellung davon hatten, wie diese Geschichte eigentlich aussehen sollte.

Es kam nicht selten vor, dass im Endeffekt der Cutter dann die Aufgabe hatte, daraus etwas Sinnvolles und (viel wichtiger noch) Unterhaltsames zu schneiden. Teilweise habe ich auch ganze Beitrage komplett alleine geschnitten und dann gab es irgendwann nur eine hausinterne Abnahme des fertigen Film.

Am Ende guckte dann natürlich nochmal der Sender darüber und hat dann meistens einige kleine Änderungen vorgenommen. Die kannten aber natürlich auch nicht das Rohmaterial und wussten oft nicht, was genau vor Ort gelaufen ist.

Problematisch waren eher so übereifrige Redakteure, die aus dem Nichts etwas Sensationelles machen (lassen) wollten und denen es im Endeffekt egal war, wie die Protagonisten dabei wegkamen. Mit denen habe ich mich dann immer angelegt.

Solange man als Cutter richtig "gut" war, konnte man es sich auch durchaus leisten, eine eigene Meinung zu haben. Irgendwann fingen die Produktionsfirmen aber an, mir so "Stillschweigevereinbarungen" unter die Nase zu halten. Das war dann der Zeitpunkt, wo ich immer gegangen bin.

Man muss sich einfach vorstellen, dass in der TV-Branche alle unter extrem Leistungs- und Zeitdruck arbeiten und man sich ständig selbst hinterfragen muss, ob man jetzt zB. durch das Zusammenschneiden zweier Interviewteile den Sinn verfälscht oder die Tatsachen auf dem Altar der Unterhaltung opfert.

Natürlich ist das alles recht komplex und vielschichtig, und jeder der Beteiligten (Redakteur, Filmcrew, Cutter usw) hat seine speziellen Möglichkeiten.
Zudem kommt es natürlich darauf an was für ein Thema der Beitrag hat. Infotainment kann ja vieles sein, auch ganz unverfängliches Zeug. Aber es gibt sicher auch manches, das bestimmt nicht gern gesehen wird (von den Chefs gesehen meine ich), wenn es zB. nicht mit der offiziellen political correctness vereinbar ist, oder auch, gerade bei den Privaten, wenn es Werbekunden verärgern könnte.
Letztlich geht es halt nur darum, Geld zu generieren. Wenn man mit dem Testbild am meisten verdienen könnte, würden sie nur das den ganzen Tag zeigen. Was deinen Job natürlich erheblich vereinfachen würde... :)

Die Gefahr ist, dass das Fernsehen sich schon seit langem zu sehr danach richtet zu senden, was die Leute vermeintlich sehen wollen. Wenn die Quoten gut sind, dann zahlt auch die Werbeindustrie.

Ich erinnere mich noch daran, wie die Firmen anfangs beim Dschungecamp total zurückhaltend waren, weil sie Angst hatten, ihr Image zu beschädigen. Dann haben das aber so viele Leute geguckt und Bildzeitung und Co. haben jeden Tag berichtet, dass man sich schon nach kurzer Zeit um die Werbeplätze gestritten hat.

Ich glaube aber auch, dass durch das Fernsehen lange Jahre ein Urbedürfnis der Menschen befriedigt wurde, Geschichten erzählt zu bekommen, Geschichten über Gut und Böse, Heldensagen, Dramen und nicht zuletzt Liebesgeschichten. Ein Testbild wird da wohl leider nicht ausreichen ;-)

Das mit dem Testbild war jetzt nur überspitzt ausgedrückt. Dennoch ist es erstaunlich, wie lange der selbe Mist wieder und wieder aufgewärmt wird. Ich nenne da nur mal Formate wie Tatort, Richter Hold, Rosamunde Pilcher, diverse Talentsuchen, oder "reality" Programme.
Das Argument, das es ist was die Leute sehen wollen, erinnert irgendwie an die Frage mit dem Huhn und dem Ei und was zuerst da war.
Natürlich gibt es auch sowas wie ein angeborenes (?) Bedürfnis nach bestimmten Geschichten, wie du schon sagst - Helden, Schurken, Liebe, Dramen usw. Das geht ja schon seit den alten Griechen und Römern über Shakespear und Karl May so.
Aber ob die Zuschauer es wirklich so wollen wie es heute im TV gebracht wird (laut Einschaltquote), oder ob sie nur gucken weil sie nichts anderes kennen und weil es allgemein gepusht wird (wie zB der BILD), das ist nicht so ganz klar. Wenn mal jemand es schafft, etwas anderes zu produzieren (entgegen allen Hindernissen), wird das oft zum "Überraschungserfolg". Beispiele: die originale Star Trek Serie, oder aktueller Serien wie Breaking Bad, Real Humans oder Dexter.
Aber solche Sachen kosten richtig Geld, und man muß die Komfortzone verlassen und sich was einfallen lassen. Nicht zu vergessen das finanzielle Risiko. Aber es wird schon manchmal versucht, auch in Deutschland. Nur leider zu selten.
Wenns allerdings um konkrete Information der Bevölkerung geht, kommen noch ganz andere Faktoren ins Spiel. Auch hierfür gibt es eine eingefahrene Maschinerie, die am Fliesband politisch korrektes Material ausspuckt, siehe Anne Will und Konsorten. Richtig den Mund aufmachen tut höchsten mal ein Kabarettist nachts auf einem dritten Programm, was sowieso keiner guckt.