Erzähl' was Neues – VIII

in #deutsch8 years ago

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Ich möchte für sie sterben und kurz vor der Ohnmacht sehe ich, wie sie mit ihren Händen schon wieder in meiner Brust herum fuchtelt. Ihre Augen sind nun aber gar nicht mehr bei mir, sondern bei Phil. Alleine sein Name wirkt wie ein Stromschlag auf mich. Unbändige Eifersucht fährt mir in die Glieder und verbreitet sich schnell im ganzen Leib. Phil, immer wieder Phil, tobe ich in einer Schaum speienden Intensität, die mich vor mir selbst erschrecken lässt. Ich jage Gänge entlang und haue mit den fürchterlichsten Waffen aus meinem Trenchcoat grässliche Wesen beiseite. Sie wollen mich aufhalten und greifen aus dem Schatten heraus mit knochigen Fingern nach mir. Aber ich muss fieberhaft weiter suchen und weiß gar nicht mehr, was. Wie ein Berserker kämpfend, suche ich meinen Weg durch das Labyrinth. Da fällt es mir ein. Ich suche meine Tänzerin. Peinlich berührt, bewusst, dass mich gerade blanke Eifersucht schüttelt, falle ich aus dem Traum im Traum. Die Tänzerin und Phil schauen mich fragend an. Ich habe keine Ahnung, was sie gerade mit bekommen haben und so bitte ich in das Schwarze über ihren Köpfen hinein, flehend, dass sie nichts von meinem Ausraster gemerkt haben mögen. Sie schauen mich noch immer erwartungsvoll an. Da schleicht sich wieder dieses Grinsen in Phil' s Gesicht. Doch kurz bevor das Toben von neuem beginnen kann, schaue ich in die Augen der Tänzerin und versinke darin, wie in Watte. Sie sagt zu mir, dass im Problem die Lösung liegt. doch ihre Lippen bewegen sich dabei nicht. Um ein Haar hätte ich mich im Ton vergriffen da fällt mir Wasser ein und ich bin, gedrückt von einem dringenden Bedürfnis, sofort wach. Taumelnd stehe ich auf und verschwinde in den Büschen.

Es ist mitten in der Nacht. In den kleinen Ausschnitt des Himmels hinein stierend, der vom Kragen meines Trenchcoats umrahmt wird, liege ich unter meinem Wigwam. Da die Tänzerin nirgendwo zu spüren ist, hebe ich meinen Kopf. Niemand ist hier, außer mir. Sogar Lauser ist weg und in dem Haus, hinter den Tannen, brennt Licht. Der Park liegt ganz still. Selbst im Stehen kann ich Lauser nicht entdecken. Das gefällt mir nicht. Solche Spielchen mag ich nicht. Unruhig geworden lege ich mich hin und warte auf ein Zeichen. Es kommt keines und ich warte weiter. Vor lauter Warten fallen mir die Augen zu und die Tänzerin scheint wieder da zu sein. Ich kann sie zwar nicht sehen aber auf meiner Brust liegen ihre silbernen Ballerinas. Wohin ich auch misstrauisch schaue, Phil scheint nicht da zu sein. Ich untersuche sogar den Rucksack. Auch das Werkzeugfach wird inspiziert, ob da vielleicht irgendwo ein Indianer grinst. Das Gebüsch, der Schacht – Nichts. Da fallen mir die Ballerinas wieder ein und meine Verkrampfung lässt nach, während ich ihre zarten Schuhe fest halte. Besser wäre es, die Tänzerin würde sich zeigen, aber so ist es auch in Ordnung. Sie könnte ja auch überhaupt nicht da sein. Das wäre viel schlimmer. Meine Dankbarkeit kennt keine Grenzen. Die Ballerinas glitzern kurz auf und ich fahre mit der Erzählung der vergangenen Nacht fort, ganz im Vertrauen, dass sie mir zuhört.

Ich war jung, so jung wie du, schöne Tänzerin, hauche ich in die Richtung, wo ich sie vermute. Lange bevor es Kommunen gab, wohnten uns gegenüber Amerikaner. Rani und Yvonne hießen ihre Kinder, die dort im Haus ihrer Großeltern lebten. Die beiden waren oft bei uns aber bei ihnen zuhause herrschte die Angst. Ihr Vater war gewalttätig gegen die ganze Familie. Es war das letzte der Aussiedlerhäuser, die sich an unser Villengebiet anschlossen. Das Haus klemmte zwischen zwei Eckengrundstücken und glotzte mit seinem schmalen Giebel in unsere Richtung. Hinter seinem kargen Vorgarten, schien es knapp über dem Boden zu schweben, als wollte es jeden Moment verschwinden. Dünn, abweisend, grau und ärmlich versuchte es, nicht da zu sein. Es schien mir verzerrte Perspektiven zurück zu geben, wenn ich hinüber schaute. Zur Ergründung dieses Phänomens stand ich oft Stunden im Esszimmer, an einen Stuhl gelehnt und habe es beobachtet. Ich war gut verborgen, hinter den Alpenveilchen meiner Mutter und dem nur halb offenem Rollladen. Es hatte ein Gesicht das ich jedes Mal anders ausgesehen hat wenn ich, nach kurzem Wegblicken erneut hinüber geschaut habe. Mal habe ich einen Keller gesehen, mal keinen. Beim Beobachten schützte mich natürlich auch der Busch vor unserem Fenster, der Vorgarten mit hüfthoher Dornenhecke, Bürgersteig, Fahrbahn, der Bürgersteig gegenüber, die Straßenlaterne, der schwarze Jägerzaun. Eine große, dunkle Tanne verbarg den äußeren, linken Teil des Hauses. Ich versuchte, es mit dem Garten dahinter in Einklang zu bringen und es schien mir, je länger ich hin schaute, eher als etwas Lebendiges. Ein Wesen mit einem schwarzen und einem blinden Auge und etwas hing hinten dran, wie ein Schwanz. Die schmale Andeutung eines Balkons unter dem Giebel sah aus, wie ein Horn. Als Kind glaubte ich so etwas wie eine Kaulquappe zu sehen. Ständig gab es die Momente, wo ich meinen Augen nicht mehr trauen konnte. Kennst du das, mein Herz?

Ich muss zwar zugeben, dass mich zu jener Zeit sogar die Werbung von Wissoll-Schokolade aus der Realität heraus, in ein bezugsloses Kontinuum saugen konnte, von dem eine Rückkehr unmöglich schien. Heute ist das bestimmt eine anerkannte, psychische Störung mit eigenem Namen. Im Lieblingsmagazin meiner Mutter, „Das Beste aus Readers Digest“, fand sich regelmäßig diese Abbildung einer Schokoladentafel, die im Unendlichen verschwindet. Damit verschwand auch ich selbst und es endete immer im großen Erschrecken, dem Moment, den ich im Zusammenhang mit diesem Haus auf jeden Fall vermeiden musste. Daher brach ich auch seine Beobachtung stets rechtzeitig ab, kurz bevor mich ein Schrecken hätte befallen können. Wenn man zum Beispiel versucht, in Gedanken eine angelehnte Tür zu bewegen, dabei auf den Lichtspalt starrt, den das Türblatt hergibt und ganz intensiv denkt, gehe auf, gehe auf und dann geht sie auf, ein kleines bisschen nur, aber sie hat gewackelt, dann kommt der Schrecken. Mit uns konnte so etwas noch leicht passieren, ohne dass man es krank genannt hätte. Das mit dem Haus war aber ganz gewiss keine Störung. Das Absonderliche geschah ja tatsächlich und es war abgrundtief ungut.

Im Gegensatz zu dir und deiner Generation, zauberhafte Tänzerin, waren wir Schläfer, Träumer und visuelle Anfänger. Uns konnte eine Lavalampe noch faszinieren. Zu psychedelischer Musik wurden uns bewegliche, bunte Muster auf eine Wand projeziert und das hat uns begeistert. Man packte uns noch mit einem relativ geringen technischen Aufwand. Ich habe keine Erinnerung daran, dass dieses Haus jemals hell und freundlich erschienen wäre und spreche damit jetzt über bald sieben Jahrzehnte der Beobachtung. Bitte glaube nicht, meine Schöne, ich sei vielleicht so ein verrückter Domatophobiker. Die späteren Beobachtungen dort, lange nach meiner Jugend, stützen sich ausschließlich auf prüfende Blicke, wenn ich mal wieder zufällig in der Straße vorbei gekommen bin. Bis ich nie mehr wieder vorbei kam. Das Ergebnis war trotzdem immer das gleiche und es gruselt mich, wenn ich nur daran denke: In der ganzen, hellen, fröhlichen Zeit ist dieses Haus grau geblieben, wie fadenscheinig. Selbst, als es mal neu gestrichen war. Ich schwöre, die weiße Farbe hat nicht das Geringste geändert. Das Haus blieb unheimlich. Es war in der Zeit, als eine neue Familie mit Kind dort einzog.

Der Junge war Autist. Er verfiel ins Reglose, wenn er zum Beispiel die Straße kehrte. Das Kehren funktionierte größtenteils, aber ab und zu blieb er einfach hängen. Dann stand er still. Besen und Haltung sind einfach dort eingefroren, wo der Frost ihn gerade erwischt hatte. Nach einer Weile schien er kurz aufzutauen, um sich langsam in unsere Richtung zu drehen. Dann hat er gestarrt. Zehn Minuten lang, dreißig Minuten. Auch mal eine Stunde, oder anderthalb. Bis ihn sein Vater oder die Mutter bemerkt und wieder aufgetaut haben. Das Ehepaar, zwischen vierzig und fünfzig, hatte nur dieses eine Kind und sie sahen aus, wie ein Wissenschaftler-Ehepaar. Man sah diese Leute nie lachen. Fröhlichkeit war keine Eigenschaft, die Bewohner dieses Hauses zu empfinden schienen und es hat mich immer gewundert, wie unsere zwei Freunde überhaupt in diesem Ding leben konnten. Der autistische Junge hat später bei einer Versicherung eine gut bezahlte Stellung bekommen, hat mir meine Mutter erzählt, die das ganze Viertel und besonders jeden Tratsch kannte. Aus einer Zeitung habe ich kürzlich erfahren, dass Unternehmen gerne Menschen mit bestimmten, psychischen Auffälligkeiten einstellen. Zuverlässigeres Material gibt es für sie nicht. Diese Menschen bemerken, was niemand merkt und müssen manchmal sogar unter sanftem Zwang von ihrer Arbeit getrennt werden, die sie nahezu obsessiv erledigen. Je nach den Anforderungen einer vakanten Position, suchen HR-Manager großer Unternehmen gezielt nach der passenden Störung. Aus dem Katalog für Persönlichkeitsstörungen würde ich mir eine entsprechend veranlagte Sekretärin bestellen, versuche ich einen Scherz, um mich sogleich zu entschuldigen. Sie kichert mich ins Traumlose.

Mich holen zwei schwarze Ballerinas zurück, die mir blasend an den Kopf fahren. Ein Schuh links, der andere rechts. Beide sind feucht. Links, rechts und umgekehrt. Nun sind sie auch noch nass. Sie machen Geräusche und tropfen. Vorne glänzen Löcher, aus denen Luft bläst. Unter der Sohle kann sich eine Zunge nicht mehr halten. Ich werde wach und Lauser ist wieder da. Die Sonne scheint. Zusammen schreiten wir zur Morgentoilette. Am Teich kann ich in den Spiegel starren, wie ich will, was da zu sehen ist, sieht alt aus, erschreckend müde, macht aber keine Angst. Ich schaue über den Spiegel hinweg, zum Haus hinter den Tannen. Sein Anblick ist mir unangenehm und ich wende mich schnell wieder meinem Spiegelbild zu.

Fortsetzung folgt, im Takt der deutschen Gilde.

Das psychedelische Bild stammt mit Dank von Linnaea Mallette.


In dieser Serie sind bisher erschienen
Erzähl' was Neues – I, II, III, IV, V, VI und VII.

Es handelt sich bei der Arbeit um den Auszug aus einem Roman, den ich etwa vor mindestens vier Jahren begonnen habe. Das Bloggen des Materials zwingt mich, ihn endlich zu redigieren und sogar fertig zu schreiben. Ich hoffe, damit ein paar Kritiker zu finden. Als große Ehre empfände ich es, mit dieser Schreibe tatsächlich auch Leser zu gewinnen, die sich auf eine Fortsetzung freuen.


Hier gibt es ein Hilfe–Menu für Anfänger Hilfe! Wie mache ich meine Texte schön?


Ebenfalls Literarisches ist von mir erschienen mit
Land der großen, weißen Wolke – I, II, III und IV. Diese Serie ist neu, basiert auf tatsächlich Erlebtem und wird auf alle Fälle auch weiter geführt werden, da es eine Geschichte ist, die mit dem Tod meiner Protagonisten längst nicht aufhört.