»Ein besonderer Stern schien helle. Nur an diesem Tag, nur zu dieser Stund’. Acht Kindlein gebar das Schicksal. Sieben schrien wie aus einem Mund. Doch das achte, das achte blieb stumm. Ihre Herzen nähren Hoffnung und Leid. Ihr Weg ist das Schicksal einer ganzen Zeit.«
Der gestürzte Feuervogel
Erian fand sie leblos unter einem Schwarzdornbusch. Bäuchlings lag sie da. Ein Sperling pickte Ungeziefer aus ihrem roten Haar. Hätte der Vogel seiner Familie nicht »Futter« zugerufen, wäre Erian vorbeigerannt. Ihr Kleid aus rotbraunen Blättern ließ sie beinahe eins mit dem Waldboden werden, lediglich die Beine schauten hervor.
Er entfernte einen Ast, den sie mit ihrer abgewinkelten großen Zehe festhielt, wie mit dem Daumen einer Hand. Er hatte von den Erdläufern gehört, begegnet war er bis jetzt noch keinem. Erian packte zu, um sie aus dem Gebüsch zu zerren. Als würde er einen hundertjährigen Seemann aus den Fluten ziehen, so ledrig und zerfurcht waren ihre Sohlen. So mühsam war es, sie herauszubekommen. Sie maß nur etwa fünf Fuß, war jedoch kräftig gebaut.
Einige Blätter ihres Kleides verfingen sich in den Dornen und enthüllten, dass sie darunter nackt war. Als er sie auf den Rücken drehte, sah er, dass ein Ohr an der Spitze aufgerissen, das linke Auge zugeschwollen und die Haut über ihrer Nase aufgeplatzt war. Winzige Tropfen ihres Lebenssaftes vermischten sich unauffällig mit zahllosen Sonnensprossen, als hätte sie in eine überreife Frucht gebissen. Eine dünne Blutspur klebte wie ein Haar an ihrer hohen Wange. Sie war jung und reizvoll.
Erian nahm ihre schlanke Hand in seine. Mit feuchtem Moos tupfte er das Blut von ihrer Stirn. Als er ihre wunden Lippen berührte, öffnete sie den Mund einen Spalt. Weiße Zähne blitzten hervor. Ein seegrünes Auge ließ ihn eintauchen.
»Wo bin ich?«, fragte sie mit tiefer Stimme, deren Kratzen ihn an einen Vogel erinnerte.
»In Sicherheit«, antwortete Erian und flößte ihr belebenden Kräutersud ein. Sie trank und schlief ein.
Erian bestrich ihre Wunden mit einem dicken Brei aus heilenden Pflanzen.
Als sie nach zwei Tagen erwachte, war er gerade dabei, ihre Arme von einer Schicht Dreck zu befreien. Eine blaue Bemalung am Unterarm kam zum Vorschein: zwei Bäume, deren Äste wie Arme abstanden und sich gegenseitig festhielten. Gelbe, leuchtende Flecken symbolisierten die Blätter. Die Erdläufer hielten ihr Leben durch Zeichnungen auf der Haut fest, wusste er. Beim anderen Arm musste er seine Nägel einsetzen. Ihre feinen Härchen klammerten sich an den Erdklumpen fest, als wollten sie darin wurzeln. Behutsam schabte er über ihren sehnigen Oberarm und legte den Ansatz eines Males frei.
Er bemerkte nicht, wie sie zu sich kam. Ganz plötzlich packte sie seinen Arm. Mit einem Ruck lag er am Boden. Sie auf ihm. Eine Hand fuhr an seinen Hals. Sie presste ihre festen Oberschenkel in seine Rippen. Die Muskeln ihres Armes traten hervor, als sie den Druck auf seine Kehle erhöhte. Sie schob das Kinn vor und entblößte ihre Zähne. Speichel floss aus ihrem Mundwinkel. Fauchend wie eine Wildkatze drückte sie einen langen Fingernagel unter sein Auge. Eine Ader an ihrem Hals trat hervor und pulsierte. Dann hielt sie inne.
Sie erwachte wie aus einem Traum. Sah seine Augen, die aus den Höhlen traten. Ihre Finger lockerten den Griff und hinterließen rote Abdrücke. Sie warf den Kopf in den Nacken und blähte ihre Nasenlöcher auf, wie ein Frosch seine Backen. Sie schnupperte. Vorsichtig betastete sie ihre Stirn. Die Zunge schnellte hervor und nahm etwas von dem Pflanzenbrei von ihrem Finger auf.
»Danke«, sagte sie und sprang durch das Unterholz davon.
Als sie bei ihrem Stamm auftauchte, dämmerte der Morgen. Sie schlich ins Vorratskogi, nahm eine Handvoll getrockneter Beeren und setzte sich auf einen Ast der riesigen Ulme. Während sie genüsslich eine Frucht nach der anderen kaute, stellte sie fest, dass alles seinen geregelten Lauf nahm. Nasi, die Älteste, schnarchte, dass es im ganzen Dorf zu hören war. Sogar im Schlaf erzählst du Geschichten, dachte sie. Nirak verließ als Erster sein Kogi und pisste hinter einen Haselstrauch. Sie rümpfte die Nase. Kannst du nicht etwas weiter weggehen? Oder möchtest du zeigen, dass es dein Revier ist? Die kleine Luwin schrie. Das kräftige Saugen, das folgte, konnte sie durch die dünnen Wände hören. Sarome warf die alten Blätter hinaus. Ein leiser Gesang legte sich über das Dorf. Sira betet. Ich hoffe, sie verzeiht mir.
Ein Sperling setzte sich zu ihr auf den Ast. Freudig nahm er eine Beere und flog davon. Gleich wird das Kugelhaus von Auria und Nerim wackeln. Das junge Paar war noch immer frisch verliebt. Sie wusste nicht, wie lange sie weg gewesen war. Hier hatte sich nichts verändert.
Was sollte sich auch ändern? Ich könnte mein halbes Leben weg sein, und wenn ich wiederkomme, würde ich denken, es wäre morgen. Einzig die Natur zeigt mir, dass ich lebe.
Sie strich über ein Blatt, das in kräftigem Rot leuchtete. Kühle Windstöße erwachten mit der Sonne und brachten die Härchen auf ihrem Arm dazu, sich aufzustellen. Die Häuser schwangen sanft zwischen den Bäumen wie Mohnkapseln auf einem Feld. Eine einzelne dunkle Wolke stand am Himmel. Bald werden die Blätter fallen. Leise summte sie ein Lied. Es handelte von einem Baum, der sich weigerte, sein Laub herzuschenken. Ihre Mutter hatte es immer gesungen, wenn die Rit-Winde ihr Kogi so sehr schüttelten, dass sie sich festhalten mussten, um nicht herumzurollen. Sie starrte auf das rote Blatt und pflückte es mit einem Ruck ab. Mit ihren langen Nägeln riss sie Löcher hinein. Sie peinigte das Blatt, bis der Duft nach Lavendel und ein Hauch Minze ihr Einhalt geboten. Rasch ließ sie das Gerippe unter ihrem Kleid verschwinden. Sira.
»Mein verlorenes Küken hat den Heimweg gefunden!« Sira verschränkte ihre Arme und hob das Kinn.
»Wie es aussieht, hatten die Erdgeister höhere Aufgaben für dich.«
Sie wollte mit ihrer Tirade fortfahren, doch dann klebte ihr Blick an Narnas wunder Stirn. Falten bildeten sich in ihrem Gesicht, das ansonsten glatt war und glänzte wie eine Kastanie. Zärtlich befühlte sie die Verletzung.
»Bei den Nahiri, was ist dir zugestoßen?« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und nahm sie in ihre Arme. »Narna, schön, dass du wieder hier bist«, flüsterte die Priesterin.
Narna löste ihre Umarmung und starrte auf Siras verzierte Halsriemen, die unter den ersten Strahlen der Sonne glitzerten. »Alles bestens.«
Sira kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie heute nichts Weiteres erfahren würde. »Komm mit, ich habe Tee aufgebrüht.«
Narna nahm das Angebot an und war froh, als sich Aldina zu ihnen gesellte. Ich wusste nicht, dass ich mich jemals über ihren Anblick freuen würde. Doch die Freude verflog, als Aldina ihre Verletzungen musterte.
»Da hat wohl jemand eine stürmische Liebesnacht hinter sich.«
Sie verbiss sich eine Antwort. Im Geiste riss sie Aldinas Ranunkel eine Blüte aus. Drei. Alles wie immer.
Seit sie von ihrer Mutter das Zählen gelernt hatte, stellte sich Narna die Aura ihrer Mitbewohner als Blume vor. Sieben Blütenblätter zierten die unversehrte Ranunkel. Wenn sie jemand verletzte, riss sie eines davon aus. Ich weiß noch nicht was passiert, wenn jemand keine Blüten mehr hat.
»Oder hast du dir ein Liebesnest gebaut, so lange, wie du weg warst?«, fragte Aldina.
Sie wollte aufspringen, doch Sira legte eine Hand auf ihre Schulter. »Heute Abend erzählst du mir bei einer Tasse Manaki, was vorgefallen ist.«
Für Narna klang das wie eine Drohung, und ihr Bauch verkrampfte sich.
»Ich muss dir auch etwas berichten«, flüsterte ihr die Priesterin ins Ohr. »Es wird unseren Dorfmüttern nicht gefallen, obwohl es nur ein paar faule Trauben sind.«
In ihrer Stimme schwang etwas Ungewohntes mit. Furcht. Möglicherweise ist doch etwas vorgefallen, während ich weg war.
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Ein bisschen konfuser Anfang, der plötzliche Perspektivenwechsel hat mich etwas rausgewurfen. Sonst aber gar nicht schlecht geschrieben.
Vielen Dank! Ich überlege noch, wie ich es genau mache. Geplant wäre 1-2 Kapitel pro Woche evtl. mit einer kurzen Zusammenfassung "was bisher geschah". Was hältst du davon?
Wenn du dieses Tempo durchhalten kannst und gleichzeitig noch genug Zeit hast, die Texte korrekturzulesen. Eine kurze Zusammenfassung ist bestimmt ganz hilfreich.
Das Buch ist bereits fertig und wurde auch schon als Taschenbuch und eBook veröffentlicht. Ich möchte es auf dbooks und hier veröffentlichen, allerdings nicht alles auf einmal sondern eben in Häppchen und hoffe dadurch mehr Leser zu erreichen.
Richtig, das Buch ist schon fertig. Ja, die Taktik ist mir bekannt. Na dann viel Glück dabei.
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