25+ Wochen Pandemie

in #confinement4 years ago (edited)


Am 16. März ordnete der französische Staatspräsident Macron eine landesweite, partielle Ausgangssperre (confinement) an, die am 17. März in Kraft trat. Die Notwendigkeit das Haus zu verlassen war durch eine vom Arbeitgeber ausgestellte Bescheinigung oder eine Eigenerklärung nachzuweisen.

Da ich seit mehr als 20 Jahren remote arbeite, war das erwerbstechnisch gesehen keine grosse Einschränkung, denn ich muss das Haus eh nicht verlassen. Aber ich muss natürlich im Supermarkt etwas einkaufen, ich gehe zum Bäcker, an den Strand, zur Post und renoviere immer irgendwas, fahre also ständig mit einem Anhänger zum Baumarkt. Zu dieser Zeit wollten wir zwei Fassaden verputzen. Im März wird es hier langsam warm und viel später ist nur mühselig möglich, mit Kalkputz zu arbeiten denn der Putz trocknet viel zu schnell. Aus dem Fassaden-Plan wurde zunächst nichts. Wir durften kein Gerüst aufstellen und alle Baumärkte hatten geschlossen. Material hatten wir nur noch für ein paar Tage.

Am 5. April war es dann soweit. Das Baumaterial war alle und die pandemische Verwirrung gross! Ich schrieb Die Welt steht still – zumindest ein bisschen, ging in den Garten und hatte dort genug zu tun. Die Vögel zwitscherten, der Himmel war blau, überall summte und surrte es und alles war gut. Naja fast - ich durfte nicht an den Strand, auch nicht mit Passierschein ☹️😉.

Da es auch in Deutschland und in der Schweiz Einschränkungen im öffentlichen Leben und mehr remote Arbeit gab, richteten wir bei Novatrend eine kostenlose Jitsi Instanz ein (https://meet.novatrend.ch). Ohne eine Registrierung kann man dort wirklich sehr einfach, auch heute noch, mit mehreren Leuten eine Videokonferenz organisieren - jeder - einfach so.
Hier ist der passende Blog Post mit ein paar Hinweisen dazu https://blog.novatrend.ch/2020/04/13/videokonferenzen-auf-meet-novatrend-ch/. Da wir aus Datenschutzgründen auf dem Jitsi Server nichts loggen und aufzeichnen wollten, konnten wir natürlich auch schlecht testen, ob das System überhaupt funktioniert.

Parallel dazu meldeten sich Bekannte telefonisch oder per E-Mail bei mir, wie es denn hier so wäre und überhaupt. Es gab also irgendwie Diskussionsbedarf, der optimiert werden musste, denn ich wollte ja im Garten arbeiten.

Die naheliegende Idee war ein regelmässiges Treffen auf unserem schicken, neuen Videokonferenz Server. Dann konnten wir einerseits überprüfen ob alles funktioniert und uns andererseits gleich ein wenig austauschen. Die Leute würden sich kennenlernen und das Ganze würde auch mal ohne mich funktionieren :)

Seit dem 16. April gibt es daher den virtuellen Apéro und am nächsten Dienstag, dem 13.10.2020 findet er zum 25-sten Mal statt. Pro Apero gibt es immer einen Twitter Thread (siehe auch Virtueller Apéro, Dienstag 19:00 Uhr) und echt viele Themen.

Ergebnis des Test: Jitsi funktioniert hervorragend, benötigt aber eine relativ zügige Internet-Verbindung. In der Jitsi App auf dem Smartphone geht es sehr gut. Im Browser am bestem im Chrome Browser.

Nach 25Wochen hat sich beim Apéro eine ganz interessante Gruppe gebildet, die immer irgendwas zu erzählen hat. Altersmässig ist von 15-63 Jahren alles dabei und auch die Geschlechter sind einigermassen gleich verteilt. Es kommen auch immer wieder neue Leute dazu, was mich sehr freut. Wenn du Zeit hast am nächsten Dienstag um 19 Uhr, komm einfach mal vorbei (https://meet.novatrend.ch/apero).

Nach ein paar Wochen waren dann vor Ort die meisten Logistikprobleme gelöst. In der Dorfschule wurden Masken genäht und kostenlos verteilt. Man konnte online im Supermarkt einkaufen, online im Baumarkt bestellen und selbst Pizza gab es nun online in Fitou.

Im Dorf war es sehr ruhig, denn es kamen natürlich keine Touristen, die Restaurants waren geschlossen und es gab keine Events. Alle Feste fielen aus, leider auch der Flohmarkt. Dafür erholte sich die Natur zusehends, es gab keine Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel und viel mehr Vögel, Schmetterlinge und Insekten. 2020 ist auch das erste Jahr in dem keine Unkrautvertilgungsmittel im Dorf benutzt werden durften. Wir wuchsen gewissermassen zu und es sah sehr schön aus :). Man wusste auch sofort wo jemand wohnt, und welches Haus ein Ferienhaus ist.

Am 22. Juni war es mit der Ruhe vorbei und die Touristen kamen. Es war als hätte jemand einen Schalter umgelegt und die Saison damit schlagartig eröffnet. Es lag wieder überall Hundescheisse herum und dicke SUV‘s versperrten unseren Hauseingang. Natürlich trugen nicht alle Touris Masken und in den Restaurants wurde auch nicht super duper aufgepasst. Wir hatten kein gutes Gefühl und wir beschlossen deshalb kein Restaurant zu besuchen. Die drei Strandklubs waren immer geöffnet bis zur nächsten Party, dann wurden sie von der Polizei wieder geschlossen, dann langsam wieder geöffnet und bei der nächsten Party wieder geschlossen.

Ich habe mich von dem Trubel so weit wie möglich ferngehalten, die Baumärkte öffneten wieder und wir konnten die beiden Fassaden machen. Es dauert etwas länger als gedacht, aber vor ein paar Wochen wurde dann alles fertig.

Die Touristensaison war zum Ende der Ferien gegen Ende August genauso schlagartig vorbei wie sie begann. Der “Staub“ legte sich wieder, der Strand war leer, die meisten Restaurants wieder geschlossen. Die Leute fuhren nach Hause und meiner Meinung nach begann damit die zweite Corona Welle.

Jetzt ist es hier im Dorf wieder so wie im Frühjahr. Es gibt noch keine Ausgangssperren, aber die Zahl der Infizierten steigt in Frankreich täglich. Unsere Gegend wird von Deutschland aus als Risikogebiet betrachtet.

Bei Gesprächen mit Bekannten gab es durchaus interessante bis nervige Beurteilungen der Lage. Von „Die Regierungen wollen uns alle nur unterdrücken“ bis „vielleicht ändert sich ja endlich die Einstellung der Leute zum Konsum, also weniger Flüge, weniger Kreuzfahrten, weniger fette SUV, etc.“ war alles dabei.

Bei vielen Bekannten haben sich auch einfach die Geschäftsmodelle ihrer Firmen per „Knopfdruck“ in Luft aufgelöst. Einer meiner Schulfreunde betreibt ein Messebau-Unternehmen, das mehr oder weniger vom Tag 1 an nicht mehr gebraucht wurde. Freunde von uns spielen in einem Quartett klassische Musik auf Veranstaltungen oder sind Künstler und stellen ihre Kunst irgendwo aus. Auch das war nun mehr oder weniger hoffnungslos. Glücklicherweise wird per Kurzarbeitergeld alles bisher irgendwie am Laufen gehalten, eine langfristige Lösung ist das aber auch nicht.

Ich selbst bin in einer durchaus okayen Lage und freue mich ehrlich gesagt, dass nun endlich mehr Personen online arbeiten. Das macht meinen Job auch viel leichter, denn ich muss nicht mehr beruflich reisen. Ausserdem kann ich momentan an vielen online Konferenzen und Workshops teilnehmen, die oft auch noch kostenlos sind. Als besonders nette Beispiele fallen mir da die Raketinnen (https://www.linkedin.com/company/raketinnen/), Netz&Work (https://netzandwork.de) und der Joomlatag ein (https://www.joomladay.de). Es ist wirklich schön, dass vieles nun online funktioniert was vor der Pandemie eher undenkbar war.

Übrigens undenkbar: Das KFZ-Zulassungswesen in Frankreich wurde vor einiger Zeit umgestellt auf eine komplette online Bearbeitung. Früher ging man zu einem Amt und kam 2 -3 Stunden später mit einer Zulassung für ein Auto hinaus. Nun ist es online und seit dem Upload der relevanten Papiere am 12.08.2020 warte ich nun auf eine Carte Grise für unser „neues“ Auto. Eine Carte Grise ist so etwas wie ein Fahrzeugschein/-brief in Deutschland. Ohne Carte Grise kein Nummernschild.

Ausser der Pandemie darf ich daher auch seit zwei Monaten erleben, wie es sich ohne eigenes Auto auf einem Dorf anfühlt. Glücklicherweise können wir bei Bedarf meistens ein Auto leihen, aber das kann doch eigentlich alles nicht wahr sein mit dieser Wartezeit .... ich sage nur ...

... digitalisiert euch!

Im Garten geht es übrigens auch weiter!



Posted from my blog with SteemPress : https://hagen.cocoate.com/2020/10/10/25-wochen-pandemie/